15.10.2007

Ohnmacht first

Medienhäuser und Verlage sind immer noch im Umbruch, das Geschäft mit den klassischen Printausgaben immer noch rückläufig, und viele traditionelle Verlage kämpfen mit der richtigen Linie in das und mit dem Onlinegeschäft. Ein Streifzug durch die wichtigsten aktuellen Buzzwords der Branche und warum der Branche trotz steigender Bevölkerung die Kundschaft ausstirbt...

Online First
In der Medien Spezial Printausgabe des österreichischen Wirtschaftsmagazins Trend (nein, das müssen Sie nicht kennen, kennen auch die meisten Österreicher nicht) wurde wieder einmal die Zukunft des Zeitungs- & Medienswesens diskutiert. Ein Bereich wo Österreich speziell auf Internet & Web 2.0 bezogen tapfer dabei ist seine Position hinter Somalia, Albanien und Legoland zu behaupten. Zum Beispiel ringt man immer noch bei der Frage ob Nachrichten nun zuerst in der Online-Ausgabe (online first) oder erst in der Printausgabe erscheinen sollen. Während man in Österreich vermutlich froh sein muss wenn online überhaupt etwas erscheint hat zB Die Welt vor einiger Zeit einer der modernsten Onlineauftritte im deutschsprachigen Raum hingelegt, mit einem ausgefeilten Debatteteil der alles hat außer einer der Reichweite angemessenen Anzahl an Teilnehmern.

Online Fürst
Was uns zum Nächsten führt. Gerade alteingesessene Medien die sich selbst für Qualitätsmedien halten (was nicht immer einer objektiven Beurteilung stand hält) rümpfen ja die Nase über die Boulevardisierung der Medienlandschaft. Seien es doch die vier S die nunmal Auflage und Geld bringen: Sensation, Sex, Sport, Society. Und doch: wer wirtschaftlich überleben will muss das schreiben was seine Leser lesen wollen. Ob das nun politisches Zeuchs ist das eine Zeitung mit politischer Schlagseite schreibt, oder der nicht zu kurz kommende Promiteil - Leser wollen sich nunmal nicht erziehen lassen. Und wenn dann muss die Manipulation so sein dass sie ausreichend undurchschaubar oder gewollt ist für die wo die Blätter kaufen, und unaufdringlich genug um nicht die Inserenten abzuschrecken.

Online Forst
Auch Agrarökonomen entdecken längst das Internet für ihre Zwecke. Der moderne Bauer sucht heute seinen Traktor mit Brüsten in einer agrarischen Internetsinglebörse, es gibt bereits Agrarmedien online und natürlich auch Agrarblogger. Auch die klassischen Medien haben den altmodischen primären Wirtschaftssektor wiederentdeckt - zum Beispiel zur Hetze wegen gestiegenen Lebensmittelpreisen, zur Brandmarkung von Gammelfleischern oder zur telegenen Vermarktung einsamer Farmerherzen für die Dating-Show im Fernsehen. Damit war es das aber auch schon mit Online Forst - in den deutschsprachigen Landen sind die Erwerbstätigen in der Landwirtschaft eine kleinere Gruppe als die Erwerbslosen in der Sozialhilfe- & Arbeitslosengeldbranche. Wer als Medienschaffender kein Feind seiner Geldbörse ist wird sich an die größeren Zielgruppen orientieren.

Offline Fast
Moderne Online-Tageszeitungen oder periodische Online-Magazine entdecken schön langsam Social News. Oder besser gesagt sie haben die entsprechenden bunten Schaltflächen entdeckt die man heute zwecks Social Bookmarking als Onlineverlag einbauen muss um nicht hoffnungslos von gestern zu sein (ja, sogar im internettechnischen Dritteweltland Österreich gibt es mit der Presse schon eine Zeitung die das macht, unglaublich - vermutlich haben sie die vordefinierten Buttons aus dem CMS nicht rausbekommen). Das beflügelt natürlich auch weiter die beiden Social News Branchengrößen YiGG und Webnews, allerdings wenn nicht gerade Wochenendloch ist sind die beiden auch schon mal schnell nicht erreichbar. Offline Fast. Gerade im Fall von YiGG kann man zuweilen sagen : wenn der Erfolg eines Web 2.0 Diensts größer als das Budget ist ist das nicht gut für die Server.

Offline Frisst
Sehr zu kämpfen haben alle Medienschaffenden mit einer PISA-gebeutelten Gesellschaft die zunehmend verdummt und auch immer weniger Interesse an Lektüre besitzt. Wie das Portal Web.de berichtete sei bereits jeder fünfte Deutsche heute ein Lesemuffel. Und was die anderen vier so machen, wer weiß das schon genau? Nach den Nichtwählern scheinen also die Nichtleser die am raschesten wachsende Bevölkerungsgruppe zu sein. Und für Verlage schwer zu erreichen. Außer mit bunten Bildern und Videos vielleicht. Aber was soll man einer Bevölkerungsgruppe die lieber den Kühlschrank als eine Bibliothek plündert als Verlag wohl bieten? Essbare Bücher?

Online Frust
Frust packt nicht nur die Verleger klassischer Printmedien deren Erträge seit Jahren rückläufig sind, Frust ist auch eine Motivation die Menschen ins Internet treibt. Oder auch ein Gefühl das sie dort erst recht packt. Die einen flüchten ins Internet weil sie im realen Leben nichts zustande bringen oder keinen Partner finden (und fallen dann Gleichgesinnten in Singlebörsen auf die Nerven, eine gerechte Strafe für alle Beteiligten wie wir finden), die anderen schreiben Blogs oder sind Forengurus und frusten sich dort einen herunter, die Blogger weil sie keine Leser haben und die Forenschreiber weil sie unter überforderten Moderatoren leiden. Online Frust ist also ein wachsender Zweig in der Psychotherapie, Verlage werden an dieser wachsenden Zielgruppe wohl nur durch Diversifikation (sprich Therapiezentren aufkaufen) teilhaben können. Durch schlechte Behandlung ihrer Leser können sie aber das Geschäft positiv beeinflussen.

Omelett Now
Hier bei UNTERNEUNTUPFING Aktuell geht sowieso alles Online Lost bzw. First, wir haben gar keine Druckausgabe, davor drücken wir uns alleine schon aus Kostengründen. Allerdings ist auch uns der Kampf um Marktanteile in unserer sehr engen Zielgruppe vertraut. Und wir hätten gerne das Marketingbudget mit dem große Verlage die die Zeichen der Zeit nicht erkennen Leserschwünde realisieren...
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Weitere Artikel rund um Medien und so weiter:
Printjournalist - ein aussterbender Beruf?
Wirtschaftskunde mit Erdnüssen
Tourismusbranche flucht über Web 2.0

(Bild: kiamedia / stock.xchng / Royalty free)

5 Lesermeinungen:

Anonym hat gesagt…

Hut ab, vor diesem Beitrag!
Wie wahr, wie wahr.
Traurig ist es wirklich (um nur auf eins der Themen / Offline frisst/ näher einzugehen), dass die Menschen immer weniger lesen. Dabei ist das doch eins der wichtigsten Nährstoffe überhaupt! In der heutigen Online-Welt hat man kaum eine Chance, den Kindern den Wert eines Buches zu vermitteln! Das schlimmste ist dann, beobachten zu müssen, dass die Rechtschreibung der heutigen Jugend immer katastrophaler wird :-( . Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr (oder so ähnlich)...
Es liegt also in der Hand der Eltern und Schulen, den Kindern das Lesen eines Buches, auf schmackhafte Weise, nahezubringen! Man kann doch beides kombinieren: Die Online-Welt, die vieles ermöglicht UND das gute Buch, welches wir in einer ruhigen Stunde geniessen!

Rick hat gesagt…

Werte Gaviota, danke für diesen schönen Kommentar. Darin eine wichtige These mit der sich viele Medienschaffende genauso schwer tun wie Bildungspolitiker : Internet und Bücher sind komplementäre Medien, nicht kanibalisierende Gegner. Oft wird behauptet das Internet sei für die schnelle Information (also das informationstechnische fast food, an der durchschnittliche U9TA-Artikellänge gemessen liegen wir hiermit voll daneben), das Buch hingegen für den Genuß, die Entspannung, die Reflexion, die vertiefte Auseinandersetzung im Detail. Wie auch immer: bei der Frankfurter Buchmesse erscheinen jedes Jahr mehr Bücher. Die Leser werden umgekehrt immer weniger. Ein Volk in dem immer mehr sich zum Reden berufen fühlen aber keiner mehr zuhören kann?

P.S:
In punkto Rechtschreibung darf ich die Grammar Brothers ans Herz legen, beides auch sehr nette Menschen.
Zum Thema Eltern, Kinder, Schule wird es morgen früh einen Beitrag geben auf den die Welt nicht gewartet hatte...

Anonym hat gesagt…

U9TA als Print-Ausgabe? Interessante Idee, finde ich zumindest.

Genug der Abschweifungen. Also der Genuß, die Entspannung, die Reflexion, die vertiefte Auseinandersetzung im Detail sind Gründe dafür U9TA zu lesen. Gerade letzteres – aufgrund der Möglichkeit zu verlinken – kann ein Onlinemedium wesentlich besser, als es ein gedrucktes Werk könnte. Das Problem einer Auseinandersetzung im Detail liegt immer in der Tatsache begraben, dass die Kenntnis der Leser(innen) eben der Details manchmal stark variiert, man also, im Falle von Print, den Spagat hinbekommen muss, nicht zu viel und nicht zu wenig Details zu beschreiben. Online bietet man einfach die entsprechenden Links an, und der geneigte Leser / die geneigte Leserin kann selbst entscheiden, wieviel Auffrischung nötig ist, um dem Thema zu folgen.

Ein gedrucktes Werk kann man allerdings leichter abseits von Stromquellen benutzen. Ich würde die beiden Varianten auch eher als komplementär, als als Gegner sehen; nur sind viele (Zeitungs-)Verlage, aus den verschiedensten Beweggründen, noch zurückhaltend diesen Schritt zu wagen. (Für manche der Gründe findet Don Alphonso ein paar harte Worte.)

Was allerdings viele Off- und Online-Publikationen vergessen, ist, dass Lesen auch Spass machen muss, wobei wir wieder bei U9TA wären. ;)

Rick hat gesagt…

Danke Erik für die Blumen, aber vor allem für die ausführliche Meinung (eines erfahrenen Autors).

Vielleicht sind Offline und Online auch zwei völlig verschiedene Disziplinen die nur scheinbar etwas gemein haben, so wie Hallenvolleyball und Beachvolleyball? Und gewechselt wird meistens nur von der einen in die andere Disziplin, manch Jüngere wachsen bereits in der moderneren Disziplin auf und versuchen sich nur selten in der klassischen. Was natürlich keine Wertung abgibt, und auch nicht was für den Konsumenten auf die lange Sicht attraktiver ist.

Vermutlich ist die online Welt gnadenloser weil dort kein bis kaum paid-content vorliegt und keine Zahl-Abonnenten der Bequemlichkeit halber dort bleiben wo sie sich einmal für entschieden haben. Das macht die Publikation auch kurzlebiger, der Impuls muss vermutlich auch heftiger sein um bleibende und vor allem wiederkehrende Leser zu binden.

Für freischaffende Autoren sind es wohl tatsächlich zwei unterschiedliche Disziplinen. Im Internet hat man die Möglichkeit bei jeder Pointe oder jeder komplexen Aussage einen erläuternden Hyperlink zu setzen wenn man befürchtet dass nur ein Bruchteil der Leser den zugrundeliegenden Kontext kennt. Beim klassischen Buch muss man ellenlange Fussnoten schreiben. Das kann bekanntlich so manches Fussnotofon ziemlich verstopfen...

Anonym hat gesagt…

Freue mich schon auf deinen morgigen Beitrag...und werde mich jetzt deinen 2 o.a. Seiten mal widmen ;-)