16.10.2007

Radical unschooling

Schon seit Kain gewaltsam einen Bruderkonflikt löste beschäftigen sich Erwachsene damit wie sie die Jugend am besten durch (Nicht)erziehung ruinieren können. Egal ob nun aus Kids tüchtige Soldaten, Arbeitskräfte oder Revoluzzer werden sollen - Erwachsene können nicht die Finger davon lassen das Leben ihrer Nachgeborenen mit System & Methode zu vermanschkern. Vielleicht als Gegenentwurf zum Familienbild Frau Hermans erscheint nun eine neue Zeitschrift die der schulfremden Erziehung fürspricht...

Unerzogen
Wie ausgerechnet auf der Plattform liberty.li berichtet wird erscheint demnächst das Magazin Unerzogen. Der geneigte Leser ist nun im Zweifel ob es sich dabei um konsequente Fortpflege der antiautoritären Erziehung Marke 68er Generation ist welche eine Menge Menschen hervorgebracht hat die weder Benehmen noch Bock auf Arbeit haben und denen nichts anderes übrigbleibt als in die Politik zu gehen und uns von dort aus zu regieren. Oder geht es doch um ein freiheitliches (Nicht-)erziehungsmodell um unsere Kinder vor staatlichen Schulen, unkündbaren Lehrern und erratischen Bildungspolitikern zu retten? Etwas mehr erfahren wir dazu auf dem dazugehörigen Blog : Ziel sei die gleichberechtigte Eltern-Kind-Beziehung (um der heutigen Realität zu entsprechen muss es vermutlich besser Eltern-Hund-Katz-Pferd-Kind-Beziehung heißen) und das Prinzip Radical Unschooling.

Unschooling
Guckt man mal auf Wikipedia so findet sich zu Unschooling in der deutschen Version zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags nur ein kurzer Artikel (in der englischen ein längerer). Und gleich ein Link zur Antipädagogik die sich wiederum von der antiautoritäten Erziehung (und wohl auch der autoantoritären : Papa Fahrlehrer, Sohn auch wieder Fahrlehrer = Autodidakt) abgrenzen will. Eine Menge Theorie die da auf die armen ungeschulten Kids zuprasselt. Unschooling sei nach Wikipedia ein vom Kind geleitetes Lernen abseits der Schule (und deshalb auch zB in Deutschland verboten), wie die radikale Variante dessen wohl in der Praxis abläuft und welche Erwachsene dies hervorbringt mag sich bitte nun jeder selber vorstellen.

Gleichberechtigung
Spannend dabei ist der Punkt gleichberechtigte Eltern-Kind-Beziehung. Darin liegt eine große Chance sowohl für Kinder als auch Erwachsene, aber man muss sagen dass der Gesetzgeber im Detail darauf absolut nicht vorbereitet ist wie folgende Beispiele zeigen:


  • Gleichberechtigung bedeutet dass Eltern nun endlich auch ihre Kinder um Taschengeld anpumpen können wenn das Amt jede weitere Hilfe verweigert. Eine prima Sache die viele Behördengänge sparen würde, allerdings setzt der Gesetzgeber der Kinderarbeit enge Grenzen, vermutlich wird das noch mehr Kinder in die Kriminalität treiben.

  • Kinder dürfen endlich auch Wäsche waschen, Kochen, Bügeln, Putzen und Mutti bei der Berufsweiterbildungsprüfung helfen. Eine echte Entlastung für die Mütter, und es bereitet die Kinder bereits zielgerichtet auf ihr späteres Leben vor.

  • Noch sind Schankwirte und Wettbörsenstubenbetreiber noch nicht darauf eingestellt, aber endlich dürfen auch 6jährige Jungs abends im Alkohol oder Glückspiel ihr Vergessen suchen wenn sie in der Nichtschule Streß hatten oder etwas Abstand vom weiblichen Haushaltsvorstand brauchen.

  • Waren schreiende Eltern bislang verpönt können Mama & Papa in einer gleichberechtigten Beziehung genauso rumtoben und brüllen wie es ihnen Spaß macht. Und je nachdem wie alt die Fruchtfolge ist vielleicht sogar noch in die Hosen machen statt sich diesen sinnlosen Streits der Art "Er-klappt-nie-die-Brille-runter-und-nach-oben" auszusetzen.

  • Söhnen steht es nun endlich auch zu Papa ordentlich zu versohlen wenn er schlechte Zensuren beim letzten Mitarbeitereignungstest mit nach Hause bringt.

  • Auch die Jugendämter sind leider auf eine derart moderne Methode der Nachwuchsförderung nicht vorbereitet. Gleichberechtigung bedeutet nämlich konsequent zu Ende gedacht dass in verwahrlosten Haushalten Kinder das Recht bekommen müssen dass das Jugendamt die Eltern abholt.
Summa summarum ist dieser Gleichberechtigungsgedanke hochinteressant, wird aber vermutlich wenn es um die reine Le(e/h)re geht in der Praxis noch seine Zeit brauchen bis er vollständig umsetzbar ist.

Ausgezogen
Unterneuntupfinger sind bekannterweise da hoffnungslos hinter den modernen Erziehungssitten hinterher. Hier favorisiert man immer noch das Fordern & Fördern Prinzip. Und wir von UNTERNEUNTUPFING Aktuell hören nicht auf zu mahnen : bei all den Gedanken wie wir unsere Kinder am besten neurotisieren - vergesst bei Bildung nicht auf die bescheuerten Erwachsenen...
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Weitere Artikel zu Bildung, Verbildung und was Wissen schafft:
Schockfotos zur Volkserziehung?
Zur Demokratie erziehen...
Wirtschaftskunde mit Erdnüssen

(Bild: sciucaness / stock.xchng / Royalty free)

14 Lesermeinungen:

Anonym hat gesagt…

Oh ein SUPER Beitrag .Ich habe eben ein wenig auf den Seiten von „unerzogen“ gestöbert, die haben echt ähem ..einen Knall?
Genauso wie die antiautoritäre Szene damals führ diese Erziehungskonzept in eine absolute Haltlosigkeit des Kids, Sozialkontakte fehlen und die grundlegenden Regeln des Zusammenlebens lernen die Kinder so auch nicht.
Die Leute sollten sich da mal drüber klar werden ,was es bedeutet die Kinder „nicht zu erziehen“ ,denn Erziehung heißt Bindung.

Absolut gruselig

Rick hat gesagt…

Danke Daniela.
Ob und wie groß der Knall tatsächlich ist wäre interessant auszudiskutieren mit "Experten" und "Betroffenen". Wer zB eher der altmodischen Vorstellung Lehrjahre sind keine Herrenjahre anhängt wird höflich formuliert starke Zweifel am Unschooling haben. Wer heute Personalchef ist und verzweifelt frägt was er mit den Anzubis anfangen soll die sich heute bieten der wird sowohl das staatliche Schulsystem verfluchen, aber auch die Wertelosigkeit die heute dominiert - viele jungen Leute kann man kaum zum Kunden vorlassen ohne ihn zu vergrätzen. Ein spannendes Thema also...

Anonym hat gesagt…

Dazu musst Du einmal schauen, wie diese Kids erzogen wurden und zwar chronologisch:


http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/Politikbereiche/familie,did=11450.html


und was denn letztendlich aus denen geworden ist.
Welche Erziehungsstile haben letztendlich die „schwierigen“ und wertelosen Kids hervorgebracht? Die bei denen sich nicht ausgiebig um die Kinder gekümmert wurde.
Das kommt jetzt wieder. Seit 3 bis 5 Jahren in etwas werden die Kids wieder in ein festes Regelwerk großgezogen Gepaart mit Liebe und Aufmerksamkeit (Ja, auch die berufstätigen Mütter geben ihren Kindern Aufmerksamkeit) und beständige Rituale. In sozialschwache Familien wird mit Frühförderung und sozialpädagogische Familienhilfe ordentlich investiert um mal diesen Wahn des so genannten „Sozialhilfeadels“ zu durchbrechen um vielleicht auch mal ein arbeitsfähiges Individuum entstehen zu lassen mit wenigstens mittleren Bildungsabschluss.
Es gibt Elternkurse, Pekip und Babyschwimmen, uvm, die Palette ist groß.
Denn
Bildung –Erziehung -Bindung ist ein unzertrennbarer Begriff , an den (auch sozialwissenschaftlich) immer wieder gearbeitet werden müssen.

Anonym hat gesagt…

Es war, werter Herr Rick, der unvergessene Max Merkel, der seinen kurzbehosten Anvertrauten das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche zuckerbrotpeitschenklar verinnerlichte. Das Resultat: Erst Meister, dann Absteiger. Und was lernen wir daraus? Ganz genau.

Unfassbar
Ihr Erdge Schoss

Rick hat gesagt…

Aproperitiv Merkel und die Disziplin, werter Herr Schoss:
"Im Training habe ich mal die Alkoholiker meiner Mannschaft gegen die Antialkoholiker spielen lassen. Die Alkoholiker gewannen 7:1. Da war's mir wurscht. Da hab ich gesagt: Sauft's weiter."
(Max Merkel)

Rick hat gesagt…

Danke Daniela für den schönen Sachbeitrag. Hier nochmal der obige Link zum anklicken. Auch der Begriff PEKiP ist vermutlich nicht jedermensch ein Begriff.

Reverse Eating hat gesagt…

als ich seinerzeit mit dem gitarre spielen anfing, kaufte ich mir ein buch und arbeitete es durch. danach holte ich mir ein anderes buch, arbeitete es wieder durch, und war irgendwann an einem punkt an dem ich recht passabel spielen konnte, aber weder mit dem bisherigen können zufrieden war, noch aus eigener kraft weitergekommen bin.

also bettelte ich meine eltern an, dass ich zur musikschule dürfe. das hat glücklicherweise auch geklappt, ich hatte fortan einmal pro woche eine stunde gitarrenunterricht und konnte meine fähigkeiten enorm ausbauen.

und was sagt uns das? eigenverantwortliches lernen stößt schnell an grenzen. man ist auf andere angewiesen, die einem wissen vermitteln und für einen teilweise den lerninhalt vorgeben, weil sie aus erfahrung wissen, dass es richtig ist. ich persönlich hätte mich niemals freiwillig vors metronom gesetzt und tonleitern gebüffelt, aber es musste sein. und mein lehrer hat dafür gesorgt, dass ich es mache.

andersrum bringt es nichts, nach gutdünken 'wissen' in andere menschen reinzustopfen. man muss, wenn man lehrt, auch auf sie eingehen.

unschooling scheint mir daher eine utopie zu sein, ähnlich sinnvoll wie der kommunismus oder die anarchie.

Anonym hat gesagt…

Sehen Sie, werter Herr Rick, genau das.

A la vôtre
Ihr Erdge Schoss

Rick hat gesagt…

Danke Herschel für den schönen und persönlichen Kommentar.

Zur Sache: zu wenig und zu viel des Narren Ziel? Also weder totalitäre Staatsindokrination noch kompletter Anarchismus scheint das Richtige, sondern ein goldener Mittelweg? Spannend ist ja (vermutlich für 0,8% der deutschsprachigen Bevölkerung) dass die Zeitschrift Unerzogen ausgerechnet in der libertären Plattform liberty.li erwähnt wurde. Dort ist der Begriff Staat genauso ein Reizwort wie die gesellschaftliche Gesinnungsarbeit zur 68iger Kuschelpädagogik. Unschooling passt somit genauso gut zur libertären Welt wie sie genau wieder nicht dazu passt.

P.S:
Dein persönlicher Ausbildungsweg hat Dir eben ermöglicht dass Du heute Rockstar & Cultblogger bist. Ein Erfolgsmodell. Oder? ;)

Reverse Eating hat gesagt…

das ziel ein berühmter blogger zu werden bin ich über den weg angegangen, erst berühmt und dann ein blogger zu werden. narrensicher das ganze.

man kann wohl schon jetzt sagen, dass ich auf ganzer linie gescheitert bin. schade.

Rick hat gesagt…

Wenn das ehrliche Kompliment gestattet ist: viele Menschen wären froh wenn sie wenigstens so "scheitern" würden wie Du, guter Herschel. Dein Weg scheint eher der der Radical Unpublicity, nur nicht zuu berühmt zu werden, sonst es schnell Schluß mit Privatsphäre...;)

Anonym hat gesagt…

Traurig, wie hier viele über etwas urteilen, was sie nur vom hören sagen kennen und nicht einmal andeutungsweise verstehen. Schade auch für die Kinder dieser Eltern, die so selbstgerecht alles ablehnen, was ausserhalb ihrer Scheuklappen abläuft.

Wir haben es ausprobiert. Nachdem unsere zwei grossen Kinder ziemlich traditionell aufgewachsen, "erzogen worden" und in die öffentliche Schule sind, gehen wir mit unserer Jüngsten andere Wege. Und oh Wunder, dieses Kind (inzwischen bald 8) ist sehr lieb, höflich, einfühlend,sozial (ohne Schule *staun*). Ich geben zu, völliges Unschooling ist es nicht, an den meisten Wochentagen wird ein bisschen gelesen, geschrieben und gerechnet. Aber die ganze "Nichterziehung" die ihr hier so verteufelt, kann tatsächlich funktionnieren. Wir sind gleichwertige Menschen. Auch setze ich meinem Kind keine Grenzen, sondern arbeite daran, dass meine Grenzen respektiert werden. Und das ohne Schläge... Und siehe, ich finde sogar, dass das Zusammenleben mit meinem Ehepartner auch harmonischer geworden ist. In Familien, wo man mit den Kindern respektlos umgeht, färbt das doch allgemein auf die Familienbeziehungen ab. Da wird schnell mal "du tust das jetzt weil ich es so will" auch beim Partner angewendet. Man ist so sehr an diese Funktionsweise gewöhnt, dass man gar nicht mehr merkt, dass man nicht nur die Kinder anschreit und respektlos behandelt, sondern auch den Partner.

Nein, ich bereue keinen Tag, dass ich neue Wege versucht habe, und sehe so viele positive Auswirkungen.

Rick hat gesagt…

Danke Paxxie für den langen Kommentar.

Zum Inhaltlichen: liebevolles Unschooling ist sicherlich besser als Kinder unbetreut vorm Fernseher verwahrlosen zu lassen. Grundsätzlich darf aber die Meinung vertreten werden dass es die ideale Aufzuchtmethode nicht gibt - sondern verschiedene Ansichten und verschiedene Auffassungen, mit vielen Besonderheiten in verschiedenen Kulturkreisen. Und Meinungen dazu. Wer glaubt die einzig richtige und wahre Methode gefunden zu haben und alle anderen wären falsch der stellt sich in Reihe mit all den anderen Fundamentalisten und Sekten dieser Erde. Was uns zum nächsten führt:

Wie Radikale Unschooler bislang reagierten:
Es gab ein paar anonyme Einzeiler die außer Beschimpfungen gar keine Argumente hatten (und die deshalb auch nicht freigeschaltet wurden, inhaltslose Beleidigungen haben hier keinen Platz, dazu sind zB Foren da). Und auch der Satz andere würden etwas nicht verstehen, nun diese berühmte Unterstellung hört man auch zB von Pro Ana Fanatikern, Zinsgegners, Grundeinkommensverfechter, Vertretern aller möglichen extremen politischen oder religiösen Richtungen. Das tut dem Anliegen des Unschooling keinen guten Dienst.
Der Artikel bei U9TA setzt sich auf ironische Art mit dem Thema auseinander, lässt aber eine Beurteilung gänzlich offen. Wer darauf nur humorlos & beleidigt reagieren kann setzt sich dem Verdacht aus quasi-religiöser Fanatiker der Sache zu sein.

Anonym hat gesagt…

Hier wurden eine Reihe von tatsächlichen Problemen in unserer Gesellschaft aufgezählt. Besonders unter den Folgen der Gleichberechtigung sind spiegelverkehrt die Umgangsweisen mit Menschenkindern in unserer Gesellschaft angeführt. Nun gibt es aber lange noch nicht so viele Unschooler, welche so einen massenhaften Schaden schaden anrichten könnten. Aber wo kommt denn nun die nicht endende Schlange von nicht ausbildungsfähigen Jugendlichen her? Von den 68ern bestimmt nicht, die gehen alle schon stark auf die Rente zu.

Ich würde mir wünschen, dass die herrliche ironische Art dieser Seite mal die wirklichen Übeltäter aufs Korn nimmt. Anfangen würde ich mit Tante Uschi, mit ihrer Krippen-Euphorie. Wenn als nächstes dann das sortierende Schulsystem dran kommt, ist schon viel getan.