13.11.2007

Alles Messies

Ordnung ist das halbe Leben, sagt der Volksmund. Doch der Volksmund schnattert viel wenn der Tag lang ist. Es gibt Menschen unter uns die neigen dazu ihre private Umgebung völlig zu vermüllen. Dafür hat man sogar ein eigenes Syndrom erfunden. Interessanterweise hat aber eigentlich kaum jemand wirklich einen Grund auf diese Leute mit dem Finger zu zeigen, denn in Wahrheit hat wohl jeder sein ganz persönliches Chaos, auch ohne Syndrom...

Klassisches Syndrom
Das Messie-Syndrom äußert sich häufig darin dass ein Mensch große Probleme hat seinen Haushalt und seine Habseligkeiten in Ordnung zu halten, etliche Messies sind auch notorische Sammler von Tand und Müll. Das Messie-Syndrom selbst kommt im ICD-10 nicht vor, wird aber häufig als Folge psychischer Störungen verstanden. Darunter leidende Menschen stehen früher oder später im Mittelpunkt: entweder in einer Hausgemeinschaft weil das Messie-Syndrom oft geruchs- und biologiefördernd ist, oder natürlich bei der Delogierung als Sonderkunde von Vermietern oder Wohnungsgenossenschaften.

Menschen mit Ordnungsschwierigkeiten haben es in sehr ordnungsorientierten Gesellschaften besonders schwer. Wie zB in den deutschsprachigen Landen. In Deutschland gibt es keinen Lebensaspekt für den es nicht auch ein zuständiges Amt (und einen Bund Deutscher [hier einsetzen]) gibt, in der Schweiz ist selbst ein kleiner Haushalt bei Hygienemitteln besser sortiert als ein französischer Supermarkt, und in Österreich ist auch jeder noch so exotischer Beruf in einer Untersektion der Wirtschaftskammer zwangsorganisiert auch wenn der letzte Berufsträger schon in der Monarchie ausgestorben war. Die breite Mehrheit rümpft also gerne die Nase über die Ordnungsmuffel und Unorganisatierten. Dabei müsste wohl jeder zuerst mal vor seiner eigenen Türe kehren.

Virtuelle Messies
Jeder sauber arbeitende erfahrene Systemadministrator weiß (speziell wenn er privat auch mal einen PC eines Freundes oder Bekannten wiederbeleben muss) - der Personal Computer ist das Gerät wo über kurz oder lang der Ordnungssinn fast jedes Menschen endet. Hand aufs Gigahertz: ist Ihr Desktop sauber aufgeräumt, kein Symbol zuviel? Die Programmgruppen sauber angelegt, am PC nur das drauf was man unbedingt benötigt wird, die Datenhaltung auch bei über 10 Gigabyte Dokumente hinaus durchgängig sauber strukturiert, jeder Dateiname ordentlich und einheitlich benannt? Und Ihre 1000en Mails die sie sich von beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Kontakten aufheben sind alle in den richtigen Unterordnern, was immer Sie suchen finden Sie sofort mit einzwo Mausklicks? In der virtuellen Welt sind die Messies absolut in der Überzahl, für einen ordnungsliebenden und selbstdisziplinierten Admin sehen 90% aller PCs (insb die privaten) wie ein böser Unfall aus der einer Festplatte zugestoßen ist.

Geschlechtsspezifische Messies
Die meisten Menschen die ansonsten einigermaßen Ordnung halten in ihrem realen Leben haben irgendwo eine Zone wo es irgendwie so ganz und gar nicht funktioniert. Häufig hat es mit einem Hobby zu tun, oder mit einem wichtigen Lebensbereich bei dem mensch besonders gründlich sein möchte. Teilweise sind hier die Geschlechter verschieden. Zum Beispiel wenn es um Malerei & Instandhaltung geht. Die typische Garage oder der typische Werkzeugkeller eines männlichen Heimwerkerkönigs ist nur auf den ersten Blick ordentlich, oft geht es im Detail bei der Hortung 58 verschiedener Schrauben schon Richtung Alteisenkippe. Und so manch Schminkkasten oder Handtasche einer alternden Schönheitskönigin entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als chemische Sondermülldeponie.

Partnerschaftliche Messies
Eine glückliche klassische Familie mit immer noch andauernder Liebe selbst nach vielen Jahren ohne Fremdgang und außerehelichen Vergnügungen ist heute absolut in der Minderzahl. Im Gegentum, den größten Saustall haben selbst jene Menschen die sonst ordentlich, sauber und strukturiert sind oft im Liebesleben. Manche Leute sind über stetig wechselnde Bekanntschaften intim frequentierter als eine öffentliche Bedürfnisanstalt, andere bringen es zu tausenden Mails und Chats in den Singlebörsen, Dritte wiederum lieben außer sich selbst nur die Affairen neben dem Partner zu Hause. Manch Single hat außer großen Gefühlen, großen Erwartungshaltungen und dazupassend großen Enttäuschungen am Ende gar nix. Wodurch so manches Herz wohl bildlich viel verwüsteter aussieht als ein vollgerümpeltes Kellerabteil.

Zerebrale Messies
Bei einem Grossteil der Menschen in der modern(d)en Wohlstandsgesellschaft war die Natur nicht übertrieben großzügig mit den Pferdestärken im Obergeschoß. Allerdings hat ein sehr schlicht möbliertes Oberstübchen auch den Vorteil dass wo das Inventar karglich ist schwer üppige Unordnung entstehen kann. Daher leiden auch mehr Menschen unter Langweile als unter Kurzweile. Diejenigen jedoch die für all ihre Ideen und ihren Wissensdurst viel zu wenig Zeit und Leben haben haben es auch nicht leicht. Genauso wenig wie jene Zeitgenossen die alles Wissen wie ein Schwamm in sich aufsaugen, entsprechend gerümpelhaft ist auch deren Hirn. Überdurchschnittlich begabte Menschen neigen deshalb dazu von Zeit zu Zeit mit heftigen Schlägen auf den Hinterkopf oder unanständigen Mengen Alkohol wieder ein wenig aufzuräumen. Ordnung zu schaffen auf die letztere Methode hält allerdings nur bis der Kater vertrieben ist...

Hand aufs Hirn: ist bei Ihnen alles in Ordnung? Oder gibt es ganz ehrlich nicht auch bei Ihnen die ganz persönliche Chaoszone?
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Weitere Artikel zu Menschen mit Besonderheiten:
Von Geomanten, Geokomikern und Geldadern
Panoptikum der neuesten Essstörungen
Das Horrorskop für die nächste Zeit

(Bild: Image*after / Imageafter terms)

14 Lesermeinungen:

Anonym hat gesagt…

Meine persönliche Chaoszone: Meine Schreibtisch-/Computerecke.

Dort findet sich alles, was ich "bestimmt noch mal gebrauchen" könnte. Vom bereits abgelaufenen Esprit-Gutschein, über Postkarten und Feinmechnikerschraubendreher bis hin zu den Zinsbescheinigungen der letzten Jahre.

All das hochkonzentriert auf eine Fläche von 1,5qm und zusätzlich verteilt auf drei Schubladen.

Rick hat gesagt…

Interessant, Patrick Michael. Konntest Du darin auch schon beobachten dass sich mit der Zeit darunter eigenständiges intelligentes Leben darin bildet? Außerdem berichten manche Menschen von dieser durchaus anerkannten Ablagemethode dass sich viel dadurch an Aufgaben und To-Dos mit der Zeit von selbst erledigt wenn man nur konsequent genug ist die Dinge lang genug gehen zu lassen. Hattest Du diese Erfahrung auch?

Anonym hat gesagt…

Die letztere Erfahrung kann ich sehr wohl bestätigen. Der besagte Esprit-Gutschein war z.B. bis zum 10.11. gültig und ist mir gestern Abend noch in die Hände gefallen. Weggeworfen habe ich ihn zwar (noch?) nicht, aber da sich der Termin eh erledigt hat, stehe ich jetzt nicht mehr unter Druck ihn einhalten zu müssen. Das entspannt ungemein.

Eigenständiges Leben konnte sich bei mir noch nicht entwickeln, da ich trotz Unordnung immer noch sauber halte!

Anonym hat gesagt…

Was den (virtuellen) Desktop betrifft, sind Mac-User, wie ich einer bin, einer konstanten Versuchung ausgesetzt: Spotlight. Dieser emsige Daemon indiziert fast die gesamte(n) Festplatte(n) und erlaubt es, durch geschickt formulierte Suchabfragen, eigentlich alles wiederzufinden.

Da stellt sich die Frage nach den Nebenwirkungen, bzw. sind PC-User(innen), durch den Zwang Ordnung zu halten, eher im Vorteil, oder steht das Betriebssystem ihrem Kreativen Chaos™ im Weg?

Rick hat gesagt…

@Erik:
Es gibt also nicht nur das Technische K.O. und das Technische Timeout, sondern auch die Technische Unordnung? Spannend. Wobei auf die einzelnen Betriebssysteme hier nicht weiter eingegangen werden soll, schließlich lesen hier sowohl gläubige Ubuntianer, also auch bekennende Apfelisten und auch pragmatische Windowstiker mit. Und UNTERNEUNTUPFING Aktuell ist bekanntlich neutral gegenüber allen Religionen...

@Patrick Michael:
Schade. Ich wäre sehr an ein paar hyperintelligenten Aktenwürmer interessiert gewesen. Auch wenn sie dann vermutlich im Unterneuntupfinger Redaktionsbüro an Fettsucht verenden würden...

Anonym hat gesagt…

@Erik
Oh ja, Spotlight ist eine grandiose Sache! Als ich noch überzeugter Windows-User war, hatte alles seinen Platz in aussagekräftigen Ordnern und Dateinamen.

Mittlerweile ist mir dass ziemlich egal geworden - dank Spotlight. Warum langwierig sortieren, wenn man eh alles in sekundenschnelle wiederfindet? Wer weniger sortiert, hat mehr Zeit für produktive Arbeiten.

[Apfel]+[Space]=[Weg zum Glück]

Auch war es ein großer Schritt für mich, als ich iTunes meine gesamte MP3-Sammlung zur Verwaltung übergeben habe. Aber anständig getaggt (...immer noch klassisch und unübertroffen mit MP3-Tag unter Windows in VM Ware...) gibt's nicht besseres.


@Rick
Tut mir Leid. Vielleicht finde ich für dich ja noch einen Chaoten, der es mit der Sauberkeit in seinem Chaos nicht so genau nimmt. Dann könnte dein Wunsch in Erfüllung gehen.

Rick hat gesagt…

Patrick Michael, ich dachte da nicht an ein Sauberkeitsproblem, sondern ich hatte Bücherwürmer nach dem Muster Mycroft Next aus Jasper Fforde in Gedanken. Mehr dazu beim Wortjongleur... ;)

Anonym hat gesagt…

Danke. Jetzt verstehe ich auch, was gemeint war.

Von Zeit zu Zeit sei mir meine lange Leitung auch gegönnt. :-)

Anonym hat gesagt…

Ich denke, wenn die Leute ihr Leben etwas häufiger aufräumen, sortieren und neu ordnen würden,wäre es in vielen Dingen zwischenmenschlich leichter

Anonym hat gesagt…

Meine Chaoszone: Mein Keller...huiuiui.... und im Moment mein Schlafzimmer. Durch Renovierungsarbeiten und Umräumen sämtlicher Zimmer ist er zum Abstellraum geworden! Habe mich bereits von vielem getrennt...aber das dauert wohl noch!
Was die Chaoszone "KOPF" angeht...ach ja... die versuche ich immer Nachts aufzuräumen und habe somit wenig Schlaf.... aber auch das wird noch ;-))))

P.S.: Wurde erstmal runtergeschubst ;-)... jetzt heißt es abwarten!!!!

Anonym hat gesagt…

Wer nichts hat, werter Herr Rick, lässt nichts liegen. Das ist praktischer, als es auf den ersten Blick scheint.

Herzlich
Ihr Erdge Schoss

Anonym hat gesagt…

Also sind arme Menschen ohne Hab und Gut doch gegenüber reichen Menschen, die viel besitzten, um einiges privilegierter. Um nicht zu sagen überprivilegiert, denn schließlich geht es um das wertvolle körperlich Heil.

Reiche Menschen stehen unter Ordnungsdruck, dem sie irgendwie nachgeben müssen. Arme Menschen dagegen sind in dieser Hinsicht vollkommen unbelastet und folglich wesentlich entspannter und demnach weniger herzinfarktgefährdet.

Ergo leben arme Menschen gesünder!

Und wieder einmal wiederholt sich die Geschichte: Früher assen die Gutsherren ausschließlich das "vornehme" weiße Brot. Die Bediensteten (oder auch Sklaven) dagegen verspeisten die schrotigen Überreste in Form von dunklem Brot. Mangelerscheinungen in Form von verstärkten Gichterkrankungen ließen demnach nicht lange auf sich warten, wodurch Gicht zur Wohlstandskrankheit avancierte.

Dies war mein persönlicher Beitrag zum dienstäglichen Feierabendkausalketteninferno.

Rick hat gesagt…

Danke für die viele Kommentare.

@Daniela:
Und das funktioniert in jeder Hinsicht auch jederzeit bei Dir selber? ;)

Und wem die Natur reichlich geschenkt hat, werter Herr Schoss, der lässt umgekehrt nichts anbrennen. Aber wem sag ich das, Sie Bentley unter den Thesaurussen.

@Gaviota:
Bei der Chaoszone Schlafzimmer stehen bei Dir sicherlich die Männer Schlange mit dem Wunsch aufräumen helfen zu dürfen ;) Aber als berufstätige Mutter dreier prächtiger Jungs musst Du ja ohnehin Hart im Nehmen sein wenn darum geht Ordnung in jeder Hinsicht zu bewahren.

@Patrick Michael:
Interessante Schlüsse die Du da ziehst. Bobby McGee hatte also doch recht. Das erklärt vielleicht auch diese wahnsinnige Ordnung in Nordkorea. Dort gibt es kein Verkehrschaos, keine sündhaft teuren Beziehungstherapeuten, keinen Saustall in den Diskontersupermärkten und die Menschen sind alle sehr schlank und rank. Staatliches de-messing wirkt also vielleicht doch?

Anonym hat gesagt…

Moment werter Rick.... muss mich mal eben umschauen.....

Neeee...keine Schlange zu sehen :-)))

Oh ja.... und es wütet das Muttertier von Zimmer zu Zimmer, schüttelt mit dem Kopf und bringt irgendwie die Herde dazu, auch mal aufzuräumen ;-)))