17.09.2007

Für gentechnikfreies Gammelfleisch

Jede Gesellschaft hat so Reizthemen die von Fundamentalisten beider Seiten bar jeder Vernunft diskutiert werden, und die Medien spielen jeweils fleißig mit. So sollten Sie sich zB in Irland eine Diskussion über Abtreibungen schenken, in Glasgow sollten Sie vermutlich eher nicht Fussball lächerlich machen, Belgien mag nicht der beste Ort sein um Pädophilie anzusprechen. Und da der deutschsprachige Raum sehr groß ist gibt es auch besonders viele Reizthemen die mit fast religiösem Eifer (und weitgehend befreit von gesundem Verstand) debattiert werden. Wie zB die Gentechnologie...

Der jüngste Anlaßfall #643
Foodwatch, eine ideologisch und auch sonst sowas von völlig unabhängige Verbraucherschutzorganisation in Berlin griff sich wieder mal den bösen imperialistischen Futterkonzern mit den Burgern heraus um die wohl meistkontrollierte Systemgastronomiekette der Welt vor den Antigentechnik-Karren zu spannen (manch unserer Stammleser wird sich jetzt insgeheim fragen wer eigentlich die Verbraucher vor gewissen Verbraucherschützern schützt?). Ein Link dahin wäre wohl zuviel der Ehre, aber alles ggf was nachzulese wäre ist mit Google nicht zu verfehlen. Aber man kann es kurz machen: da die selbsternannten Verbraucherschützer selbst! die Worte Protest, Aktionen, Aktivisten, Plakate und M. macht nur Burger mit Gen... verwenden können Sie sicherlich die Unabhängigkeit und Seriösität der Verbraucherschützer abschätzen.

Technologien und was man daraus macht
Neue Technologien haben den Menschen immer schon Angst gemacht. Oder generell Dinge die Menschen nicht begreifen, wie zB Atomenergie, Wirtschaft, Arbeiten, richtige Ernährung & Bewegung oder dass Sexualität ohne Intimrasur wirklich möglich ist. Und doch sollte man sich besinnen - es hängt doch viel ab davon was man mit einer Technologie macht. Nehmen wir zB Sprengstoff - bei der Rohstoffgewinnung, Landerschließung oder der Versorgung der Bevölkerung mit Infrastruktur ist Sprengstoff sehr nützlich. In den Händen eines Terroristen eher nicht so. Oder nehmen wir eine noch banalere Technologie : den Ziegelstein. In der Hand eines geschulten Maurers kann daraus ein Haus entstehen. In der Hand eines politischen Extremisten wohl eher ein Wurfgeschoß das Schaden anrichten wird. Denkt man wie die strikten Gentechnikgegner müsste man also konsequenterweise auch Ziegel verbieten und zu den Höhlen zurückkehren. Oder sich darauf besinnen dass man sich wohl vor dem Menschen mehr fürchten muss.

Positive Chance der Gentechnologie
Der Mensch gestaltet und verändert die Natur schon seit langer Zeit durch Züchtungen und Kreuzungen bei Pflanze und Tier. Dadurch entstanden zB Nahrungsmittel die resistenter gegen Umwelteinflüsse sind, allerdings auch welche die völlig frei von Geschmack und Nährwert sind. Bei den Tieren entstanden Rassen die sich besser an Umweltbedingungen anpassen können, in der industriellen Massentierhaltung aber auch Gattungen die vom ersten bis zum letzten Tag ihres kurzen Lebens leiden. Vermutlich werden alle gesundheitsorientierten Menschen in den Industriegesellschaften mal ausgerottet werden weil irgendein verrückter Wissenschafter vermeintlich gesunde Joghurtbakterien mit hochgiftigen langwirkenden Kampfviren kreuzt. Der Becher um 0,69 und mit Erdbeergeschmack.

Nichtsdestotrotz, nicht alle Gegenden dieser Erde wo Menschen wohnen sind klimatisch begünstigt, es gibt genug Gegenden wo Armut und bitterer Hunger herrscht und die Böden von Natur aus nicht genug hergeben damit sich die dortigen Menschen selbst durch Landwirtschaft ernähren können. Für diese Gegenden ist der behutsame Einsatz gentechnisch optimierten Saaten und Sorten eine Chance. Gentechnik also die 200 Jahre rumzüchten und rumkreuzen abkürzt damit Menschen in der Zeit die man für die klassische Methode brauchen würde nicht verhungern.

Fehlentwicklungen der Gentechnologie
Natürlich gibt es auch bereits eine Reihe von Entwicklungen die völlig zurecht auch gemäßigte Gentechnikskeptiker auf den Plan rufen. Von der juristischen Patentierung auf Leben begonnen bis zu den mannigfaltigen Irrungen der juristischen Absicherung von Saatgut. Wohin hier die Reise gehen kann zeigen zum Beispiel jene Saatgutkonzerne die Saaten entwickelt haben bei denen vereinfacht gesprochen jenes Gen entfernt wurde das verhindert dass eine Pflanze mehrjährig wächst. Damit soll einerseits geistiges Eigentum der Hersteller gesichert werden, und nona heisst das dann natürlich auch dass sich Landwirte die Sorten nicht selber nachziehen können und jedes Jahr beim Hersteller eine neue Ladung von nicht nachwachsenden Saaten kaufen müssen. Konsequent zu Ende gedacht und ein paar Unfälle einkalkuliert kann sich die Menschheit im schlechtesten Fall gezielt selbst ausrotten.

Was Anti-Gen-Taliban als unbedenklich einstufen
Bei allen Themen wo Fundamentalisten die Stammtischhoheit (und die Politik & Medien) übernommen haben verschwindet rasch der Blick auf das Wesentliche, ob beim Klimawahn, gesetzlichen Gehirnschlußzeiten oder eben die Gentechnologie. Da fühlt sich jeder der ganz fest an etwas glaubt mal schnell als selbsternannter Experte. Bei den Nahrungsmitteln geht unter den Antigentaliban stets der Trend in Debatten dahin dass Nahrung (inklusive ihrer eigenen) natürlich alle möglichen Stabilisatoren, Emulgatoren, E100 bis Edingshundertirgendwas, Geschmacksverstärker, Zuckerersatzmittel, künstliche Fettersatzmittel, Farbstoffe, Säuerungsmittel, Antioxidationsmittel, Nahrungsergänzungsmittelbeigaben, Schadstoffe, Erreger, BSE, Cadmium, Blei und so weiter enthalten kann die für den Menschen natürlich solange kein Problem sind solange diese nur gentechnikfrei sind. Für gentechnikfreies Gammelfleisch, dann geht es uns gut.

Entwarnung
Ob Sie nun fanatischer Gentechnikgegner sind oder fanatischer Befürworter, wir von UNTERNEUNTUPFING Aktuell möchten uns beiden Fraktionen nicht verschließen. Den strikten Gengegnern dürfen wir mitteilen dass unser karitativ orientiertes Satiremagazin garantiert gentechnikfrei ist. Und die Gentechnikfanatiker werden wir mit unserer Ausgewogenheit vermutlich so gelangweilt haben dass Sie an Ihrer Gähntechnik gearbeitet hatten während sie den Artikel lasen...
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Weitere Beiträge zu Fundamentalismus, Essen und den ganzen Rest:
Innovatives Fooddesign der Zukunft
Fundamentalisten aller Länder vereinigt Euch!
Pfrnudlianer : die Alternative zur Feindbildgesellschaft

(Bild: Daino_16 / stock.xchng / Royalty free)

8 Lesermeinungen:

Anonym hat gesagt…

Propper analysiert.
Vielleicht gehört noch erwähnt, dass es (auch) die Medien sind, die dafür sorgen, dass solche Themen mit Regelmäßigkeit 'verfoodwatched' werden und - zugunsten von Weltrettungs- und -untergangsgeschrei - ihr sachlichen Seiten verlieren.

Anonym hat gesagt…

Einfach biblisch: Was mit Beton angefangen hat, werter Herr Rick, geht hier einwandfrei weiter, dass es eine Freude ist zuzuschauen. Genmanipulation 2007 - ich war dabei. Gibt's als T-Shirt, Handbag und Cap.

Traumhaft
Ihr Erdge Schoss

Anonym hat gesagt…

Ähmmm …zu mindesten hier in Holstein ist es aus Sicherheitsgründen nicht gestattet, zweijährige Genmanipulierte Pflanzen zu züchten.
Einjähriges Getreide ist wesentlich ergiebiger, einfacher in der Pflege und weniger Gesundheitsanfällig und Schädlingsresistent.
Die Gentechnologie ist bei allen Risiken doch als Fortschritt zu verzeichnen und nicht pauschal zu verurteilen. Sehe ich so
Mais ist sowieso ein Nahrungsmittel auf das wir verzichten sollten. War es schon immer.

Rick hat gesagt…

Mit Verlaub, Fräulein Daniela - beim Mais sei ein kulinarischer Einspruch gestattet. In Form von Dosenmais oder Popcorn mag Mais verzichtbar sein. Ohne Polenta und Maispasta wäre die Welt aber ärmer, vom Bourbon ganz zu schweigen... ;)

Werter Herr Schoss, wenn es möglich wäre Frauen denen das Schicksal jedweden Reiz versagt hat gentechnisch sexy zu machen - würde Sie dann schwach werden?

Wenn Deutschlands bekanntester Agrarblogger dem Artikel ein virtuelles Gütesiegel verleiht dann kann er nicht so schlecht gewesen sein. Danke :)

Reverse Eating hat gesagt…

lieber rick, auch die schamhaarrasur ist eine neuerung, die beim menschen durchaus argwohn erzeugen könnte. allerdings wurde sie dem volk mithilfe von filmen behutsam näher gebracht, so dass sie gemerkt haben: "hey, das kann spaß machen. probieren wir es doch auch!"

hieraus schlüsse bezüglich gentechnik zu ziehen will ich allerdings mal jedem selbst überlassen...

Anonym hat gesagt…

Oh ……, der Beitrag war super! Habe übrigens noch nie Maispasta gegessen .Na egal! Werde ich nachholen und meine Meinung dazu kundtun.
Als ehemaliger Gemüsegartenspezi hatte ich schon mit einigen Gleichgesinnten heftige Diskussion über nun ein- und zweijährige Pflanzen, veredeln oder nicht veredeln usw. usf.. Das ist endlos, dieses Thema! Da ich ja kein Döner esse, kann in Bezug auf Gammelfleisch nicht so richtig mit reden.
Aber wenn der Herr Schoss halt mal ein entsprechendes Cappy für mich hätte, würde ich es nehmen.

Rick hat gesagt…

Lieber Herschel, Du hast wie so oft natürlich recht, gerade wenn es um Logik und Kausalketten geht. Obwohl erwiesen ist das Sex mit abgesaugtem Hirn viel entspannter ist scheuen sich viele Menschen noch vor einer Hirnabsaugung. Es wird wie bei der Schamhaarrasur wohl wieder ein paar Berühmtheiten und einschlägige Filme brauchen um dem neuen Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen...

@Daniela:
Maispasta ist man, wenn die Empfehlung erlaubt ist, am besten frisch und vor Ort in Italien. Was bei uns als Trockenpasta in den Supermarkt kommt ist zwar gelegentlich einen Versuch wert, schmeckt aber nicht sooo toll wie es teuer ist. Apropos Döner: hier liegt die Zukunft sicherlich beim Schweinehühnchen-Döner...

Anonym hat gesagt…

Selbstverständlich, Herr Rick.