28.01.2008

DDR reloading?

Wahl Hessen NiedersachsenDeutschland (oder Teile davon) hat gewählt oder (sich) gequält. Ungeachtet der Einzelergebnisse lässt sich zusammenfassend sagen dass dabei jene Parteien am besten abgeschnitten haben die nicht im Verdacht standen nicht ausreichend wirtschaftsfeindlich zu sein. Lässt sich, wenn der Theaterdonner der letzten Wochen schön langsam wieder verhallt, daraus wie in der Vergangenheit ein Bundestrend ablesen?

Niedersachsen
Furios der Einzug in Niedersachsen des politischen Arms der ehemaligen Mauerschützen und Volksbespitzler während alle anderen Parteien kaum Anerkennung vom Wähler fanden. Über 40% der Wahlberechtigten fanden die zur Wahl stehenden Kandidaten quer durch die Bank so lau und fade dass sie erst gar nicht zur Wahl gingen. Da die Extremisten die diesmal in das Landesparlament einzogen von der richtigen Seite kamen befand es diesmal Herr Thierse auch nicht notwendig vor dem Niedergang der Demokratie zu warnen.

Hessen
In Hessen hatten die Menschen die Wahl zwischen dem Konzept Zucht & Ordnung des Herrn Koch (Medien: "rechtspopulistisch", "aufwiegelnd") und dem Konzept Unzucht & Unordnung von Frau Ypsilanti (Medien: "linkspopulistisch", "einlullend"). Da anders als zB die Schweiz Deutschland ideologisch so eindimensional ist dass man dort nur die Richtungen links und rechts kennt muss man das Wahlergebnis wohl so deuten: all jenen denen die Frau Ypsilanti noch nicht links genug war die wählten die LINKE ins Parlament während Herr Koch die ganze Wählergewalt der Jugend zu spüren bekam. Wenn wider Erwarten alle Parteien in Hessen Wort halten bekommt der Wähler als Strafe für sein Wahlverhalten eine große Koalition. Oder genauso beliebte Neuwahlen.

Nokia und die Öffentlich-Rechtlichen
Kräftige Schützenhilfe erhielten die Parteien der real fehlenden sozialen Gerechigkeit in der Vorwahlkampfperiode durch die Absiedelung von Nokia bzw. vor allem durch die (in anderen Ländern als Deutschland zur Objektivität verpflichteten) öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Für den gelernten Deutschen sind mit den GEZ-Beiträgen Aller zwangsfinanzierten Sendungen mit neutralen ausgewogenen unsuggestiven Titeln wie "Kapital brutal, Arbeitsplätze egal" oder "Die Gier AG" schon längst gelebter medialer Alltag, in anderen Ländern würde man sich angesichts solcher Formate fragen "Geht's noch?!". Wie hatte man doch mit dem Finger klagend auf Berlusconis Medienimperium in Italien gezeigt über das die Italiener die Botschaften genau so geliefert bekamen wie die dahinter stehenden machthungrigen Menschen das wollten. Gottseidank gibt es in der Musterdemokratie Deutschland kein ideologisch vereinnahmtes Fernsehen.

Wie auch immer, für die ausgebeutenden Dienstnehmer von abwanderungswilligen Technologiekonzernen gibt es durch den Wahltrend natürlich nun neue Hoffnung. Zum Beispiel die Verstaatlichung und Enteignung von Ausbeutern die keine Lust mehr haben in Deutschland ein öffentliches Ansehen zu genießen das unter dem eines Kinderschänders liegt. In volkseigenen Fernsprecheinheitenkombinaten könnten fortan so schändliche Vorfälle wie BenQ oder Nokia vermieden werden, schließlich ist es höchste Zeit hier was zu tun: aus moralischen Gründen kann der Deutsche ja fast kein Handy mehr benutzen. Siemens wegen Managerskandale, Nokia sowieso nicht, die japanischen Handies nicht mehr weil die Japaner im 2.WK auf der Seite der Nazis standen, die französischen Handys nicht weil das Vichyregime mit den Nazis kollaborierte und die Venezuelaner und Kubaner stellen leider noch keine Handys her. Und mit irgendwelchen ethisch einwandfreien Mobiltrümmerln muss das deutsche verarmte benachteiligte Prekariat ja seine Mobilfunkverträge (Marktdurchdringung >100%) verquatschen.

Knapp gescheitert
Nichts geworden ist es leider in Hessen mit der Krönung des Bloggerdandys und Wortmonarchen Erdge Schoss zum neuen Kaiser von Hessen. Das nicht ganz nach Wunsch verlaufene Wahlergebnis dürfte vermutlich darauf zurückzuführen sein dass seine Kernwählerschaft am Wahlsonntag in Ginsheim nach fulminanter Vornacht noch nicht ausreichend wahlfähig war...
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Themen die den Wahlkrampf bewegten:
Wirtschaftsabsiedelungspolitik
Deutsche Empörungsmeisterschaften in der Disziplin Jugendgewalt
Erziehungscamps für jeden Geschmack

(Bild: hofschlaeger / Pixelio / redaktionell und kommerziell)

10 Lesermeinungen:

Erdge Schoss hat gesagt…

Unglaublch, aber wahr, werter Herr Rick, genau so ist es gewesen. Wir haben das einfach verpasst ...

Aber bei nächster Gelegenheit holen wir das nach. Oder lassen zumindest die Korken knallen.

Herzlich
Ihr Erdge Schoss

Anonym hat gesagt…

Interessant, analytischer Rick, ist die Tatsache, dass im Gegensatz zu uns, rechtspopulistische Kampfparolen nicht fruchten.
Das finde ich höchst Bemerkenswert. Bei uns würde die rechte Suppe vom Hessischen Koch gerne geschluckt.

Was die Kommunikationsmobilblokade betrifft, könnten doch die Taubenzüchter aus der Notlage helfen. Klimaneutral, geringste Energiekosten pro Flugmeile, keine Sendemasten, keine Strahlungsgefahr, geringe Umweltbelastung usw! Oder Trommeln - nee zu grosse Lärmbelästigung, zu geringe Rechweite...

Rick hat gesagt…

Für mich sind Sie, Ihre weinigliche Hoheit Herr Schoss, sowieso der moralische Sieger der Wahl, auch wenn Sie keine Wahl hatten. Und ich bin mir sicher dass auch diesmal wieder Tokio Hotel neidisch nach Ginsheim blickten...

Ein konstruktiver Ansatz von Dir, lieber Dan, die deutschen Handymoralsorgen zu lösen. Obgleich man natürlich bei den tauben Tauben auch ein Haar in der Nebelsuppe finden könnte - schließlich gilt die Friedenstaube als belastetes Symbol weil von durchgeknallten Friedensspontis missbraucht. Stattdessen ein Briefhuhn zu verwenden wäre vermutlich harmloser und das Gegacker wäre möglicherweise sogar erträglicher als jenes das Handynutzer so von sich geben, würde aber natürlich die Veganer aufbringen. Einem jeden links getan ist eine Kunst die niemand kann.

Anonym hat gesagt…

Nicht sehr scharfsinnig aber doch einleuchtend aus der Sicht eines Mittelständlers. Jedes Milieu braucht seine Interessenvertretung. Dass die Linke nun in die westdeutschen Landtage eingezogen ist, zeugt nur davon, dass der Schröderische "Erneuerungskurs" mal kräftig daneben gegangen ist. Die SPD gewinnt nicht Wahlen mit der unklar definierten "Neuen Mitte" sondern immer noch mit Links besetzten Themen. Die Konsequenz ist klar; Kapitalismus kann nur funktionieren, wenn es eine ausgleichende soziale Gerechtigkeit gibt. Und letzteres ist in letzter Zeit stark auf der Strecke geblieben.

Reverse Eating hat gesagt…

in niedersachsen haben unglückliche zufälle das wahlergebnis verzerrt. ein bloggender student (ich möchte keine namen nennen) hatte sich zu spät umgemeldet und durfte in dem bezirk, in dem er neuerdins lebt, nicht wählen.

stattdessen hätte er durch die ganze stadt in seinen alten bezirk fahren müssen, um seine kreuzchen machen zu können. bei nieselregen. das kann man einem bloggenden studenten natürlich nicht zumuten.

tja, das ist der grund, warum die wahl in nds so gelaufen ist, wie sie gelaufen ist.

Anonym hat gesagt…

Lieber Hartz,
das Problem ist, dass die SPD zwar Wahlen mit links besetzten Themen gewinnen kann, dann aber Regierungspolitik nicht gegen eine rechte Wirklichkeit durchsetzen kann ;-(
Ausserdem ist die Konsequenz nicht so klar, wie Du meinst, dass Kapitalismus nur mit ausgleichender sozialer Gerechtigkeit funktioniert. Ich finde eher, das Gegenteil ist der Fall.

Anonym hat gesagt…

Die Linke dürfte in West-Deutschland von Protestwählern tatsächlich profitieren - in Ostdeuschland sind das längst Frustwähler. Und deren Potential ist heute schon erschreckend hoch.

Ansonsten ist der Geiferer Koch wohl an seiner allzu offensichtlich kalkulierten Attitüde des starken Max gescheitert. Passt eben auch nicht zu einem so weichen Charakter, wenn es um die eigene gerade Linie geht.

Auch Rechtspopulismus muss übrigens gelernt werden - und über Jahre trainiert und von einer Partei auch tatsächlich getragen. Im Gegensatz zur SVP haben sich in der CDU doch ein paar Herren richtig erschrocken an den Worten aus der eigenen Parteiführung.

Rick hat gesagt…

Ich hatte schon vermutet, lieber Herschel, dass da was schief gelaufen sein muss. Verzweifelt hatte ich im Wahlergebnis die Mandate für die Deutsch-Französischen Sprottenfreunde gesucht. Aber vermutlich, so traurig es ist, wäre es auch ohne dem Hoppala des beschriebenen Studenten ziemlich eng geworden mit der 5% Hürde...

Rick hat gesagt…

Herr Koch, lieber Thinkabout, erinnert den neutralen Betrachter tatsächlich von seiner Attitüde her ein wenig an einen Derrick-auf-Speed. Deutsche Eiche durch und durch, nur dass es ihm die reibenden Wildschweine diesmal aber gezeigt haben.

Unter eidgenössischen Bloggern fällt mir hingegen auf dass fast alle unter einer grassierenden Blocheritis leiden. Kaum das Schlüsselwort SVP gefallen sprießen die Worte. Fällt das Schlüsselwort nicht von selbst dann wird es gefällt *schmunzel* ;)

Rick hat gesagt…

Danke bee für Du-weißt-schon-was. Diesmal ging es ohne Schluckauf.

...dass Kapitalismus nur mit ausgleichender sozialer Gerechtigkeit funktioniert...

Wenn man die -ismen mal weglässt verteilen die einen wohl gerne das Fell eines Bären bevor jener überhaupt noch geboren wurde. Und die anderen gründen eine Bärenzucht auch dort wo kein Bär von Natur wegen hingehört. Vermutlich liegt der goldene Mittelweg irgendwo dazwischen.