05.07.2007

Psyche des Bloggers - mediale Avantgarde oder potentieller Psychopath? (2)

Kinder & Studenten tun es, Großeltern tun es, Manager tun es und Erwerbslose tun es, Politaktivisten und Freizeitartisten tun es, Damen und Herren tun es, Intelligenzbestien und Bildungsprekarier tun es, sie alle schreiben heute Blogs. Im ersten Teil haben wir versucht dieses Persönlichkeitsbild über Meinungen der Presse zu erarbeiten. In diesem zweiten Teil geht es nun richtig zur Sache - wir stellen einen Spiegel zusammen wie Blogger die Blogger sehen...


Im ersten Teil der Serie berichteten wir von einer Studie die den prototypischen Blogger als männlich, (ein/aus/ver/ge)bildet, 29 Jahre alt, untrainiert und nicht gerade in körperlich bester Verfassung sieht. So bestätigt etwa Sven Kaulfuß mit respektabler Selbstironie in seinem Cyberbloc dass Blogger tatsächlich nicht gerade die Schlanksten sind und demonstriert mit bedrückendem Fotomaterial augenscheinlich den Beweis der zuvor genannten Studie. Sind dann prototypische Bloggerinnen ähnlich behaart und robust gebaut?

Martin Wisniowski (der dzt in einer geparkten Domain lebt) kommt in seinem Beitrag Bloggen Wissenschaftler anders? zum Schluß dass es unter all den niveaulosen Gelegenheitsbloggern wohl einen Unterschied geben müsse und hat zu diesem Behufe ein "hard bloggin' scientists" Manifest für bloggende Wissenschaftler aufgesetzt. Ist damit die Grundlage für Experimentelles Bloggen als Wissenschaft bereits gelegt? Die Menschen von Re-Publica sind dieser Frage ähnlich nachgegangen und stellten sich den Herausforderungen Brauchen wir eine Blog-Etikette? bzw ist es Zeit für einen Bloggerkodex? Da bei der Veranstaltung viele in der Szene bekannte Leute dabei waren muss man fast zum Schluß kommen dass es hier 5 Visits vor 12 ist, die Click-Rates am dampfen sind, der Ruf der Blogger gewaltig in die Bretagne geraten sei? Kommen die Menschen die Blogs schreiben nicht zurecht mit dem Spannungsfeld zwischen Recht auf Anonymität und der Pflicht der Verantwortung?

Christopher Harms versucht in seinem CalganX.net Blog dem Persönlichkeitsbild des typischen Bloggers eine gelassene Perspektive abzugewinnen. Er meint Blogging sei "...doch nur die moderne Form des Selbstgespräche-Führens". Sind Blogger also Menschen die keine Lust haben anderen Menschen zuzuhören, geschweige denn sich mit den Texten anderer Leute auseinander zu setzen? Oder sind Blogger Menschen die längst beim Wunsch beachtet zu werden (sei es aus fundamentaler Uninteressantheit der eigenen Person, sei es aus gigantischer Ignoranz der heutigen Gesellschaft) resigniert haben und halt ihr natürliches Mitteilungsbedürfnis ans Salzamt (= NUL device für Computerkids) schicken und das heisst heute Persönliches Blog? Thomas Boley, bereits jenseits vom Wahnsinn (wir von UNTERNEUNTUPFING Aktuell verteilen ihn nur gerecht), legt noch ein Schäuferl nach in seinem Beitrag Tagebuchschreiber in Weiß. Er will bemerkt haben: "Trotzdem neigen nicht gerade wenige Bloger dazu, sich selber moralisch zu erhöhen und mit Fingern auf andere zu zeigen, die gegen einen angeblichen „Codex” verstoßen...". Ist das Problem einer komplett dejustierten Selbsteinschätzungsfähigkeit also in der Bloggerwelt überdimensional vertreten?

Wie ernst muss man die Meinungen wirklich nehmen dass unter braven Familienmüttern und -vätern die harmlose Familienblogs schreiben und vife Schulkindern die ihr Tagebuch im Internet führen auch etliche Leute sind die wirklich schreckliches Vorhaben? So beschreibt zB Jason-Lee Miller dass man eventuell viel Grauen und Unglück verhindern hätte können wenn man das Blog eines Psychopathen und dann unverhinderten Sexualstraftäters einfach mehr ernst genommen hätte. Sollten wir daraus nicht vielleicht lernen es ernst zu nehmen wenn ein Blogger schreibt er/sie wolle die Weltherrschaft erobern? Sind manche Blogs vielleicht in Wahrheit viel hintertückischer als auf den ersten Blick - so wie harmlose Schallplatten die rückwärts abgespielt satanische Botschaften enthalten?

Blinde Kuh warnt uns in ihrem Blog Ein Zombie wird lebendig eindringlich davor dass jeder sechste Mensch genetisch als Psychopath geboren würde. Wir blicken uns in der Redaktion um und sind uns anscheinend sicher dass nach dieser Erkenntnis das offene Arbeitsklima wohl nie wieder dasselbe sein wird. Im Pantholblog geht der Autor noch einen Schritt weiter und vergleicht Blogistan mit einer ganz normalen Grossstadt wie zB New York (oder vermutlich Großkinkerlitz), es wäre alles vorhanden, zb "...Versager & Gewinner, Meckerer, Lügner & Fanatiker, Psychopathen, Kranke & Gesunde, Alkoholiker, Egomanen & Heulsusen, Schlaue & Doofe, Ausgeflippte...". Die Welt der Blogger also ein einziger Woody Allen Großstadtneurotikerfilm, allerdings für die wirklich Hartgesottenen? Wobei Neurotiker ja noch einigermaßen harmlos sind, Blogger limited (39, Soziologe, Devotionalien von Herrn Lafontaine und Frau Wagenknecht im Profil, wie er wohl auf seinen Nicknamen kam war nicht eruierbar?) hingegen berichtet noch viel extremer von Todesdrohungen in der Blogosphäre! Die Welt der Blogger also ein Hort potentieller roher Gewalt? Gibt es auch ein Rotlinkmillieu in der Welt der Blogger, eine Halbleiterwelt übergewichtiger (siehe Studie oben) Ganoven die b(e)reit sind ihre Meinung nicht nur mit Verbalgewalt durchzusetzen und zur Not nicht nur über Textleichen zu gehen?

Wir von UNTERNEUNTUPFING Aktuell möchten Sie auch diesmal besonders um Ihre werte Meinung bitten. Wenn man die Meinungen der Blogger liest - kann man sich dann noch ohne Angst und Vorbehalte einem Menschen nähern der frei von sich zugibt ein Blog zu schreiben? Wie erkennt man dass ein Blogger doch kein Psychopath ist? An allfällig vorhandener Fähigkeit zur Selbstironie? Oder wenn er/sie unterdurchschnittlich viele Fellow Psychopaths auf der Blogroll hat? Oder sind es nur wenige schwarze Schafe die eine ganze Subkultur in ein schiefes Licht bringen? Schreiben Sie uns!
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Wer sich bei diesen Artikel wegdämmert findet wahrscheinlich auch diese Beiträgen zum Einschlafen:
Psyche des Bloggers - mediale Avantgarde oder potentieller Psychopath? (1)
Kommt nach SEO nun SEPP und SEX?
«Wir pushen jeden Web 2.0 Dienst in die Gewinnzone...»

(Bild: DerrickT / flickr / CC BY)

6 Lesermeinungen:

Anonym hat gesagt…

Es ist doch wie überall. Ein paar Schreihälse - das sind natürlich die, die in der Öffentlichkeit auffallen - bringen die große "schweigende" Masse in verruf.
Es ist wie mit den verluderten Jugendlichen, von denen ich heute noch gelesen hab. Ein paar saufen sich ins Koma und eine 14-jährige dreht nen Handypornoclip und schon geht es bergab mit der Jugend.
Man sollte mal die Kirche im Dorf lassen. Natürlich wird immer auf die Psychos verwiesen, weil die unterhaltsamer sind. ;)
Da heisst es Ruhe bewahren, Kettensäge aus dem Keller holen und den verdammten Lügnern, die alle immmerrr ALS PSYCHOPATHEN DARSTELLEN MAL DEN KOPP ABSÄÄGEENNENE....!!!!1111elf...

Hups! ^^

Rick hat gesagt…

Danke für den sehr ähm aufschlußreichen Kommentar. Die Redaktion hat sich darauf einstimmig entschlossen die Räumlichkeiten mit Knoblauch & Kruzifixen präventiv zu schmücken (was hilft gegen Zombies?) und wir werden die Blogger auf die jene Liste mit den Teebeutelherstellern, SEOisten, Übergewichtigen, Sexmuffeln, Kunstrasenherstellern, Freigeldlern, Zinsgegnern, Globalisierungs- & Zerebralisierungsgegnern (...plus 138 weitere Bevölkerungsgruppen) setzen über die U9TA sicherheitshalber nicht mehr berichten wird weil das Risiko einfach zu groß ist....

Anonym hat gesagt…

Jetz ma nix gegen Kunstrasen. Den gibts in sehr schönen Farben. ;)
Abgesehen davon, wage ich ja zu bezweifeln, das die Redaktion von U9TA etwas zu befürchten hat. Kein Psychopath macht sich auf den weiten Weg über die sieben Berge und die sieben Täler, äh Brücken... na auf den weiten Weg nach Unter9Tupfingen. Das findet man doch eh auf keiner Google-Map. ^^

Rick hat gesagt…

...das findet man doch eh auf keiner Google-Map...

Das liegt an der hiesigen Bürokratie. Unterneuntupfing hatte vor vielen Jahren pflichtbewusst den Antrag eingereicht als Metapher anerkannt zu werden, aber...

Reverse Eating hat gesagt…

also für viele blogger, mit übersteigertem mitteilungsbedürfnis, ist das bloggen wohl nur ein mittel zum selbstzweck.

für die mitmenschen allerdings sehr viel angenehmer, als das analoge akustische gegenstück, da man sich einem blog sehr viel leichter entziehen kann, als einer realen laberattacke eines bekannten.

anders hingegen die leute, die mit ihrem blog geld verdienen wollen. da wird um jeden besucher und backlink gefeilscht, und es bilden sich strukturen heraus, wie man sie sonst nur aus dem organisierten verbrechen kennt.

Rick hat gesagt…

Danke Herschel, eine interessante Aufschlüsselung. Sollte man also froh sein wenn Klein-Lisa besser hilflos vor sich hinbloggt statt stundenlang akkustischen Terror zu verbreiten indem sie völlig talentbefreit Alle meine Entchen am ungestimmten Klavier klimpert? Und vielleicht ist es wirklich besser wenn ideologische Spinner aller Richtungen sich im Internet zB als Politblogger austoben statt im analogen Leben zu randalieren?

Nachdem Bastian schon die Unterschiede auf seine Art herausgestrichen hat : wie sehr leiden die anständigen, kreativen, netten Blogger unter den Böslingen die die Szene in Verruf bringen?