15.11.2007

Jahresendbeziehung

Wie Mann & Frau zusammenleben wollen unterscheidet sich nicht nur in Kulturen, sondern unterliegt auch dem Wandel der Zeit. Brachen die 68er Kommunarden damals mit dem klassischen Modell Ernährer+Hausmütterchen so geht heute der Trend eindeutig zur Wochenendbeziehung in getrennten Haushalten. Wird die Wohlstandsgesellschaft immer egoistischer oder bloß individualistischer?

Statistisches
Wie das T-Online Portal jüngst berichtete entschieden sich nach einer Studie der Berliner Humboldt-Universität immer mehr vor allem Großstädter bewusst für das Leben in unterschiedlichen vier Wänden. Natürlich hat man dafür auch einen kecken Namen erfunden, es handle sich hierbei um die LATs ("Living Apart Together"), ohne Abkürzung geht es bei Studien über menschliche Neigungsgruppen einfach nicht, und der Begriff muss etwas Englisches sein. Klar könnte man das Partnerschaftsmodell auch FEIG nennen ("Freiwilliges Eremitieren In Getrenntheit"), aber in unseren modernen Zeiten fehlt da irgendwie der sprachliche Kick.

Ein Begriff im Wandel der Zeit
Der Begriff Beziehung hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Vor allem jungen Menschen (miss)verstehen ihn heutzutage als regelmäßigen Geschlechtsverkehr mit demselben Partner ("Wir hatten nur noch 4mal Sex die Woche. Deshalb habe ich nach 3 Wochen Beziehung mit dem Typen Schluß gemacht. Er liebt mich nicht mehr."). Eigentlich stand Beziehung wohl irgendwann mal dafür dass man auch einen Bezug zu einem anderen Menschen hat, und nicht nur neben dem anderen Menschen sein eigenes Ding macht. Das Beziehen ist schon irgendwie geblieben, nur anders. Heute bezieht man zB Sozialhilfe in eheähnlichen Bedarfsgemeinschaften, oder man bezieht Alimente vom Partner dem man nicht mehr ausstehen kann aber mit dem man Kinder gezeugt hatte, in rustikaleren Partnerschaften bezieht der eine vom anderen Menschen auch mal Schelte oder Prügel. Wobei auch hier sich die Frau emanzipiert hat und durchaus austeilen kann, nicht umsonst erhalten Maskulismusgruppen ihren Zulauf.

Bezugspunkte
Nicht dass Menschen heute nicht mehr fähig wären zu etwas anderem als sich selbst Liebe und Bezug aufzubauen, aber heute ist es moderner dazu Subjekte und Objekte zu wählen die nicht so wahnsinnig kompliziert und anstrengend sind wie andere Vertreter der eigenes Spezies. Menschen haben heute eine Beziehung zu ihrem Auto, zu ihrer Garderobe, zu ihrer Arbeit, zu ihren Haustieren, manche Internetglücksritter eine Hassliebe zur großen Suchmaschine. Aber das ist meistens viel unkomplizierter. Ein Haustier oder die Zimmerpflanzen horchen sich auch den größten Schwachsinn oder die übelsten Jammereien an ohne mit scharfen verbalen Argumenten dagegenzuhalten. Sie reden nicht zurück. Und vor allem halten all die aufgezählten Subjekte und Objekte einem keinen Spiegel vor wie unausstehlich man selber sei.

Vorteile & Nachteile
Zog man früher noch zusammen weil man vielleicht dadurch Miete & Haushaltspflichten teilen konnte und die Zeit lieber gemeinsam verbrachte als sie dadurch zu verlieren weil man im Auto sitzt & staut um zur Wohnung des jeweiligen anderen zu fahren bevorzugt man heute lieber ein getrenntes Nebeneinander bei dem man sich zum Geschlechtsverkehr trifft. Ein gemeinsamer Haushalt wird heute von vielen Menschen als "Halbe Rechte - Doppelte Pflichten" verstanden. Insbesondere Wochenendpartnerschaften haben es in sich dass beide Partner irgendwie voneinander erwarten dass man punktgenau am Samstag oder Sonntag aufeinander scharf ist (und unter der Woche geschlechtslos & enthaltsam lebt, weil Treue und so), weil am Wochenende laut Kalender Sexzeit ist in einer Wochenendbeziehung. Wenn mindestens einer der Partner die punktgenaue kalendarische Geilheitsverpflichtung nicht so hinkriegt wird der andere schnell unzufrieden mit dem partnerschaftlichen Vergnügungsteil. Es ist irgendwie ein wenig wie der Pizzaservice - wenn man so ein Teil bestellt erwartet man dass es noch heiß ist wenn es geliefert wird. Und das bitte pünktlich. Und fingerfertig.

Virtuelles
Auch im Internet gehen Menschen längst getrennte Wege. Traf man sich zu alten Zeiten im Internet noch in Bulletin Boards oder im Usenet oder später in Foren, so schreiben Menschen heutzutage lieber ihr eigenes Blog. Oder sie gestalten in einer Singlebörse oder bei Myspace & Co ein (meistens fundamental einfallsloses) Profil und warten bis der Traumpartner kommt (und sind dann verbittert weil die anderen Einfallslosen sich genauso verhalten, vulgo "Gibt es denn hier noch ordentliche Frauen/Männer", ein Satz den man sinngemäß oft lesen kann). Ist es eine Art Cocooning das die Menschen dazu treibt sich so zu verhalten? Oder werden Partner heute so konsumiert wie andere Gebrauchsartikel auch? Verlernen moderne Menschen der Überflußgesellschaft auch mal Kompromisse einzugehen? Und wann wird der Mensch in letzter Konsequenz endgültig sein Paarungsverhalten einstellen? Sobald die Gentechnik Partner & Kinder nach Wunsch produzieren kann (und auch binnen 24h im Expresszustelldienst lieferbar)?
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Weitere Artikel rund um Mensch und Partnerschaft:
Partnerwahl: die Suppe macht den wirklichen Unterschied
New Monogamy - den Partner auf tolerante Art betrügen
Saltys - außen rund & innen bitter

(Bild: cohdra / Morguefile / Morguefile terms)

10 Lesermeinungen:

Anonym hat gesagt…

KOMPROMISSE...werter Rick...das ist das Schlagwort. Diese wollen die wenigsten Menschen heutzutage eingehen. Traurig aber wahr!
Die Gesellschaft wandelt sich zum ICH...ICH..ICH... Das WIR wird kaum noch gesehen und ist auch kaum erwünscht!
Die meisten kümmern sich, egoistischerweise, nur um sich selbst. Warum kann es sonst passieren, dass Menschen in ihrer Wohnung sterben und kein Nachbar das bemerkt, bis es plötzlich im Flur so übel riecht?
Schade, dass die meisten Menschen nicht wissen oder je erfahren werden, wie schön es sein kann Freude und Leid miteinander zu teilen.
Wir leben in einer höchst oberflächlichen Gesellschaft, aber es gibt noch Hoffnung! Die sollte man nie verlieren!

Goggi hat gesagt…

Als einer der diesen LAT-Quatsch hinter sich gebracht hat, kann ich sagen: Alles nur verwöhnte selbstverliebte urbane Karriere-Zicken, die mit Beziehung und Liebe umgehen, als wärs ein Wäschetrockner im Keller. Wenn man es braucht anschalten.

Anonym hat gesagt…

Vor allem: fingerfertig. Wieder brillant, werter Herr Rick, und für den Rest Spiegel oder Zimmerpflanze, ganz nach Geschmack.

Herzlich
Ihr Erdge Schoss

Rick hat gesagt…

Der Mensch, werter Herr Schoss, wird diesbezüglich nie an die Überlegenheit von Ehehygieneersatzartikeln herankommen. Einem Dildo zB muss man am nächsten Morgen der Höflichkeit halber niemals ein lausiges Frühstück machen.

Selbsterfahrung, guter Goggi, lässt sich uns bekanntlich reifer und wissender machen. Angesichts mancher Erfahrungen die auch hätten unterblieben können würde man es aber auch ertragen können dümmer zu bleiben.

Stellt sich zB die Frage, liebe Gaviota, woher haben das vor allem die jungen Leute bloß? Das Komasaufen haben sie ja auch nicht erfunden. Viele heute 20jährige sind selbst in Patchworkfamilien (bestens) aufgewachsen und haben wohl von ihren Eltern diesbezüglich auch so manches vorgelebt bekommen. Da es zwischen Kulturen und Epochen so unterschiedlich ist wird es wohl auch kein ideales Zusammenleben geben zwischen Mann & Frau. Allerdings muss man vermutlich feststellen: wer schon mal das erwachsene Paket hatte mit Haushalt, Familie, Höhen & Tiefen - der will keine laune LAT-Partnerschaft mit alles getrennt. Und viele Leute wollen anscheinend heutzutage nur die Rosinen herauspicken: sprich eine Wochenendpartnerschaft so leben wie sie wäre wenn man einen gemeinsamen Haushalt hätte. Und sich dann beschweren wenn das irgendwie nicht so ganz funktioniert...

Gaviota hat gesagt…

Und aus diesem Grund, werter Herr Rick, sage ich: Entweder GANZ oder gar NICHT! ...Rosinen rauspicken mag ja schonmal schön sein, aber nicht wenn es um eine Partnerschaft und Beziehung geht!
Auch aus diesem Grund ist meine Fernbeziehung in die Brüche gegangen: "Liebe Gaviota...du hast mal gesagt, wenn man dich liebt, dann mit allem drum und dran...aber für das drum und dran fehlt mir einfach die Kraft!" SOLONG .... vom Winde verweht!!!!

Anonym hat gesagt…

Hallo
Werte müssten gepflegt werden und dazu hat man heute keine Lust (auch andere lustige Szenen werden weniger in unserem Kulturkreis....). War es früher die Ehe, dann die wilde Ehe (... die meistens so Wild nicht war) kamen in den neunziger Jahren die Lap und Lapi ins Gerede. Wie bei einem guten Job sollte dieser Lebensabschnitt nicht zu lange dauern, da man sonst Out ist.
Es mag altmodisch klingen und bei jungen Menschen Aengste auslösen, aber sich selber Grenzen zu setzen und sie zusammen mit einem EP einzuhalten finde ich halt doch am schönsten. Für eine Studie sind meine Erfahrungen allerdings viel zu einseitig, weshalb meine Aussagen zbw.

Ach, da fällt mir ein.... wer bezahlt eigentlich einmal die Rente dieser JeBk? Ich habe mit meinen Kindern für meine Rente vorgesorgt....

Christian

Rick hat gesagt…

Als verantwortungsvolle Mutter, liebe Gaviota, stehst Du ja nicht nur vor der Herausforderung für 4 Menschen zu denken wenn Du hier private Entscheidungen triffst, sondern noch vor der viel größeren Herausforderungen Deinen prächtigen Söhnen etwas vorzuleben was ihnen später ermöglicht ein gesundes Partnerschaftsleben zu führen. Wenn es jemand schaffen wird, dann Du. :)

Rick hat gesagt…

Der Vergleich ständig wechselnde Jobs und ständig wechselnde Partnerschaften erscheint mir sehr trefflich, guter Christian. Personalisten und Unternehmer bekommen heute eine Menge Bewerbungen bei denen man sich frägt wie man wohl mit Menschen langfristig planen solle deren bisherige Karriere darin bestanden hat bei anderen Stellen schon wieder überflüssig und weg gewesen zu sein bevor sie noch richtig eingearbeitet waren.

Was die Werte betrifft so erscheinen sinnbringende Diskussionen darüber ein wenig belastet. Weil viele Politiker aller Farben gerne mal Werte, Ethik & Moral ins Spiel bringen wenn sie in der Sache nicht mehr weiter wissen. Zudem scheinen ganz banale altmodische Benimmregeln heutzutage (nicht nur in der Politik) ziemlich uncool zu sein. Und für ordentliches Benehmen braucht man nicht Anhänger eines Glaubens oder einer politischen Richtung zu sein, das wäre eigentlich eine Charakterfrage. Die Schulung Letzterens hat irgendwie heute keinen großen Stellenwert mehr. Das fällt allerdings nur mehr jenen auf die noch aus vergangenen Zeiten kommen und selber noch so etwas wie eine solide Erziehung genossen haben...

Psi17 hat gesagt…

Na ja, so schlimm ist es auch wieder nicht. Angeblich tendieren Jugendliche heute ja wieder mehr zur Gründung von Familien. Meistens ist es so, dass Kinder von den Eltern entweder lernen, es genauso zu machen wie ihre "Vorbilder = Eltern", oder ganz gegenteilig. Deshalb wird es immer eine Bewegung im Verhalten geben. Nichts bleibt wie es gerade ist und alles was war, kommt irgendwann vielleicht auch wieder. Um die Jahrundertwende waren z. B. in Österr. ca. 40% der Kinder ausserehelich. Warum? Damals fehlte den Leuten das Geld für die Heirat. Wenn man weiß, was früher sich so alles abgespielt hat, z. B. Vergewaltigungen von Mägden, die dann selbst Abtreibungen vornahmen, oder aus Verzweiflung ins Wasser gingen, etc., sieht man die heutige Zeit nicht mehr als "Absturz" im Vergleich zu "Vergangenheiten". Es ist eben anders als früher und es wird auch wieder anders werden.

Rick hat gesagt…

Natürlich, werter IMHO, wird es auch wieder anders werden. Es steht ja schon in der Einleitung dass Beziehungen und Familienbegriffe im Wandel der Zeit stehen. Wer heute in den modernen Industriegesellschaften jedoch eine Familie gründen will wo die Menschen untereinander einen tiefen emotionalen Bezug verspüren und wo alle Beteiligten auch daran arbeiten wollen dass dies so bleibt hat irgendwie eine blöde Epoche erwischt. Aber dafür gibt es ja Supernannys & Co...