Ältere Semester erinnern sich noch als es Brauch war Klärchen, Vrenili oder dem Lieserl eine Gutenachtgeschichte vorzulesen. Oder als eine Lesung noch etwas war bei dem sich ein Charles Bukowski würdevoll am Podium unter den Tisch getrunken hatte. Heute heißt das alles ein wenig anders. Wir bringen Sie wieder auf den letzten Stand...
Moderne Zeiten
Die Zeiten ändern sich, und gerade reifere Menschen tun sich damit häufig ein klein wenig schwer. Die Moderne ist anders, obwohl manche meinen es wäre bloß neuer Wein der einen so schlaucht wie der alte. Noch verschont von den modernen Zeiten sind zB derzeit Betriebsräte, aber irgendwann werden auch die mal aufwendig gecastet, müssen sich diversen Votings unterziehen und mindestens Singen, Tanzen und im Eiskanal Wok fahren können. Doch hier konzentrieren wir uns mal auf Literatur und bessern (dschulligung: wir pimpen) unser Denglish auf, rund um die modernen Formen der Schriftverbringung.
Wie man das heute so nennt
Menschen schreiben ja schon seitdem sie etwas zum Kritzeln finden, ihnen ausreichend langweilig ist und ihnen etwas einfällt das so uninteressant ist dass keiner im näheren Umfeld es sofort per mündlicher Überlieferung hören will. Daher konservieren Menschen ihre Gedanken in Schriftform: könnte ja sein dass diese Gedanken irgendwer anderer später mal konsumieren will dem noch weniger einfällt. Dafür hatte man in den letzten Jahrhunderten auch schöne deutschsprachige Begriffe, doch heute heißt das alles irgendwie anders. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier ein Überblick:
Früher konnte man das noch ungestraft Dichterwettstreit nennen, aber heute ist das natürlich anders. Das sind Veranstaltungen bei denen ein Publikum sich bereit erklärt sich von Nachwuchsdichtern die nicht notwendigerweise ganz dicht sein müssen nach vorgeschrieben Regeln mit Phonemen bewerfen zu lassen. Im Fall einer feuchten Aussprache auch lubrifizieren zu lassen. Hat der Poet üble Laune spricht man auch von einem Grant Slam.
Besonders spektakuläre Variante des Poetry Slam. Nach dem Vorbild klassischer Gänsestopfleber halten die stärkeren Zuhörer im Publikum den Schwächsten fest worauf der Dichter dem Schwächling die Poesie so richtig reindrückt.
Brutale Variante des Poetry Slam, meist in Poetry Slums praktiziert. Diese Form des Vortrags wirkt auf den Rezipienten meist umwerfend.
Etwas zu posten heißt soviel wie irgendwo etwas anzuheften was keiner freiwillig publizieren will, heute macht man das im Internet in Foren, Communities oder Blogs. Der erste Blogger und somit seiner Zeit meilenweit voraus war Martin Luther als er menno 1517 seine 95 Facts an der Schlosskirche zu Wittenberg gepostet hatte.
Zumeist völlig miss- & unverstandener Begriff. Suchmaschinenoptimierer verstehen den Begriff deshalb nicht weil sie der Ansicht sind dass zB Blogs nicht dazu da sind gelesen zu werden, sondern nur um Traffic zu generieren und Geld zu machen. In der Bloggerszene sind Bloglesungen entweder das Zusammentreffen anerkannter kultivierter Spitzentrinker zum gemeinsamen Training, oder ein Vorwand um selten aber doch auch reale menschliche Kontakte zu anderen sympathischen Leuten zu knüpfen die ein ähnliches Problem haben.
Blogger selbst erscheinen nicht einfach, sondern zumindest die chronische Sorte dieser Schreiberzunft wird in sogenannten Barcamps gezüchtet. Das sind sagenumwobene Ausbildungsstätten für die Verbalguerilla, Journalisten sind dort nicht zugelassen. Sowohl Barcamp-Blogger als auch Journalisten vertreten die Meinung derer die sie bezahlen, Blogger machen das freiwillig und ohne Ausbildung, Journalisten schreiben ihre intellektuellen Verbrechen somit mit Vorsatz.
Recall
Wenn heute Kunst vorgetragen wird dann bitte nur ganz kurz, es könnte den auf Soundbits trainierten Konsumenten überfordern oder langweilen. Gewiß, wir von UNTERNEUNTUPFING Aktuell mit unseren elendslangen Artikeln und wahnsinnig viel Text (und dazu oft so fremde Wörter, dafür lausiger Rechtschreibung) machen das völlig unzeitgemäß. Trotzig hoffen wir trotzdem von Ihnen den Schein zum Recall zu bekommen. So nennt man heute das Papier das einem eine weitere Chance bringt sich angemessen öffentlich zu blamieren...
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(Bild: stroinski / stock.xchng / Royalty free)
31.01.2008
Poetry Slam: mit Literatur abgefotzt?
Schlagwörter: Blogger , Gesellschaft , Kultur , Medien , Trend
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5 Lesermeinungen:
dicker Applaus für diesen Zuvieltext - und man lernt ja auch nie aus bei Ihnen: dass die Schickeria in Woks Bob fährt, entgeht all denen, die NUR INTELLIGENTEN MÜLL lesen...
grins
stubbornita
meine mitbewohnerin hat diese woche übrigens blogseminar. sie meint, das schlaucht ganz schön... o_O
"Was gäbe es Schöneres als die Kunst?
Sie ist die Geliebte der Phantasie,
die Moral der Welt, die Antagonistin der Spiesser,
die Hure der falschen Moral, die Freiheit des Geistes.
Sie ist ein Prozess der verändert, - sie zeigt Leben."
frei nach Appollon, dem Gott der Poesie, des Lichtes, der Mäuse, der Pest und der Satire,...
Die Welt, werter Herr Rick, ein Barcamp? Wahr gesprochen, Sie Furor - und stets charmant. Den ersten Syrah des Abends trinke ich auf Sie!
Herzlich
Ihr Erdge Schoss
Legen Sie, werter Herr Schoss, bei meiner Seel' auch noch ein zweites Glas nach. Für Ihre Gesundheit kann kein Opfer zu groß sein.
Hoffen wir, lieber Herschel, dass die pt Mitbewohnerin dabei nicht von Blogwarten argwöhnisch beobachtet wurde, mit den niederträchtigen Gedanken sie wegen irgendwas zu verpfeifen.
Ein schönes Stück Lyrik, lieber Dan. Und bei Appollon bestätigt sich wiedermal dass schon bei den alten Göttern die Ressortakkumulierung eine seltsame war. So wie bei heutigen Ministern.
Danke gnä Stubbornita, Ihr Urteil ist mir wert und teuer. Und es hat sich wiedermal bewiesen dass wenn etwas Ihnen gefällt ein Text für die Breite Masse absolut überdimensioniert ist. Was die Leserzahlen für diesen Artikel bestätigen *seufz*...
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