27.04.2007

Second Life - weil das First Life so öd ist?

Immer wenn es den Menschen zu gut oder zu schlecht geht dann kommen sie auf komische Gedanken. Nicht umsonst geht der Esel aufs Eis wenn es ihm zu bunt wird. Unzufriedenheiten in der breiten Masse sind immer gute Voraussetzungen für weltliche oder geistige Heilsbringer die ein besseres Leben versprechen. Ob nun z.B. Sozialismus der alle gleich arm macht damit die breite Masse der Versager keinen Neid mehr gegen Reiche empfinden kann (weil außer den Funktionären keine mehr da sind), ob Nationalismus der andere erniedrigen muss um sich selber zu erhöhen und so fragwürdige Herrenmenschen züchten will, wenn Ideologen & Aktivisten was Gutes für alle versprechen müssten eigentlich bei jedem geistig gesunden Menschen die Alarmglocken läuten. Ähnlich beim Glauben wo den Menschen das Paradies und vieles mehr versprochen wird.


UNTERNEUNTUPFING Aktuell entsinnt sich einer Laberrunde im österreichischen öffentlich-rechtlichen TV vor einigen Jahren bei der teilnehmende Parteien- & Kirchenvertreter angesichts schwindender Mitgliederzahlen sich einig waren : unsere Gesellschaft bräuchte unbedingt wieder mehr Reideologisierung und Respiritualisierung. Einzig die Bevölkerung vor allem in den industrialisierten Staaten pfeift immer mehr auf Politik & Religion und hat längst jeden Glauben an die führenden Vertreter beider Welten verloren. Natürlich gibt es immer noch Lemminge die brav mit wehenden Fahnen für Ihre Partei oder Gesinnungsgemeinschaft demonstrieren und agitieren, aber bei der Mehrheit der Bevölkerung hat mittlerweile der Berufsstand Politiker (gemeinsam mit dem des Journalisten) ungefähr soviel Ansehen wie Fusspilz, Mundgeruch oder abgelaufene Milch. Natürlich gibt es immer noch simpel gestrickte Gestalten die im Diesseits wohl nicht mal eine abgetackelte ehemalige Prostituierte abbekommen werden und daher der Verlockung eines Selbstmordattentats nachgehen um in den Genuß von über 70 Jungfrauen zu kommen. Dennoch, auch viele Christen pfeifen zunehmends auf die Amtskirche weil ihnen ein Ableben als Voraussetzung für den Himmel (und nicht mal der ist gewiß - siehe Hölle) zu übertrieben und unwegbar als Bedingung scheint - außerdem, man lebt schließlich nur einmal.

Oder doch zweimal? Also einmal analog, aber in Hinkunft und immer mehr und eher dort in einem zweiten Leben? Im Second Life. Anders als Politik und Religion hat die Firma Linden Lab von einigen Jahren bereits erkannt dass der Mensch bereits vor dem Sterben oder der nächsten Legistlaturperiode bitte ein weniger mühsameres und besseres Leben haben möchte und Second Life geschaffen. Für alle die nicht an Endsieg des Sozialismus, nicht an den Totalen Kampf, nicht ans Paradies oder den heiligen Krieg glauben. Sondern einfach nur Spaß haben wollen. Aber halt bitte bloß nicht mit dem eigenen realen Ich im realen analogen Leben. Second Life ist ein Musterbeispiel dafür den Menschen das zu geben was sie wollen - die Menschen verzichten nämlich gern auf Reideologisierung und Respiritualisierung, sie unterwerfen sich lieber der Reidiotisierung. Und mit der lässt sich unheimlich viel Geld verdienen. Second Life - das ist irgendwie Auswandern für Leute die zu feig und zu faul sind um dabei die Wohnung zu verlassen.

Wie im GMX Portal berichtet wird glaubt die weltberühmte Marktforschung Gartner dass bis 2011 80% der Netznutzer ein Second Life haben. Nun, das ist leicht vorstellbar. UNTERNEUNTUPFING Aktuell hat sich damit befasst was die Attraktivität eines virtuellen Second Life ausmacht und ist auf folgende Erkenntnisse gekommen:

  • Benefits für die Zielgruppe der 0 bis 19 jährigen:
    Ein Second Life bietet alles wovon ein Teenager träumt und lässt alles aus was ein Kinder- und Teenagerleben so unerträglich macht. Second Life kennt keine Schulpflicht, kein Müll ist rauszutragen wenn Mutti ruft, im Second Life gibt es keine Pickel und keine eitrigen Pustel nach der Intimrasur. Im virtuellen Leben gibt es unbeschränkt Pferde, Hunde, Katzen, Piercings, Tattoos, ohne Streß mit den Eltern und natürlich gratis. Taschengeldstreit war gestern. Und wenn der virtuelle Hund bei Sauwetter rausmuß dann wird er per Mausklick gelöscht, so einfach geht das. Im Second Life kann man auch als 14jährige mit jedem Superstar Sex haben und dabei wie 20 aussehen, hier kriegt jeder pummelige Akneprinz die beste Pornoqueen rum.
  • Benefits für die Zielgruppe 19 bis 30 :
    Endlich kein Aufbretzeln mehr vor dem Ausgehen, und das Second Life kennt keine Cellulitis, keine Fettschwarten die sich gegen die Lieblingsjeans wehren, und mit ein zwo Mausklicks hat frau ihren großen Traumbusen ganz ohne Rückenschmerzen und Silikonstopfung. Im Second Life gibt es keinen Bierbauch und keine schlaffen Muckis, alle Männer sind Traumtypen und legen dort natürlich nur Traumfrauen reihenweise um denen mann im echten Leben vermutlich nicht mal den Koffer tragen dürfte. Dort können Menschen endlich Finanzkönige werden obgleich sie im echten analogen Leben vermutlich schon vor der Gewerbeanmeldung pleite wären würden sie ein Unternehmen gründen wollen. Man hat immer Geld ohne zu arbeiten und ohne sich einen Millimeter anzustrengen. Gut, das hat ein Hartz IV Empfänger auch, aber im Second Life braucht sich dafür niemand schämen. Und nach einem allfälligen Bankrott startet man mit einer neuen ID unbelastet von vorne, statt jahrelangem Entschuldungsverfahren.
  • Benefits für die Zielgruppe Ü30 bis 100 :
    Im Second Life kann der Mensch der es im realen Leben bloß zum wegen Trunksucht frühpensionierten öffentlich Bediensteten gebracht hat endlich seine politischen Vorstellungen umsetzen und mit etwas Glück ganze Gesellschaften führen. Im Second Life sind Diabetes, steile Stufen oder Prostatauntersuchungen kein Problem - hier bleiben alle auf Wunsch ewig schön und ewig jung, ewig fit und ewig gesund. Auch ohne richtige Ernährung und ausreichend Bewegung, nur der Mauszeiger muss bewegt werden. Im Second Life kommt man zu seinem Traumgarten ohne monatelang durch den Hinterhof zu robben und der Salat wird niemals von den Schnecken gefressen. Brüste und Hinterteile sind auch mit 60 noch fest, und kein 70jähriger braucht im virtuellen Leben blaue Wunderpillen als Stehhilfe. Second Life kennt keine permanente Altersarbeitslosigkeit, keine Rentenproblematik. Und mann kann sich auch als 55jähriger schmuddeliger Orang-Utang-Verschnitt problemlos an einer 14jährigen vergreifen ohne eingeknackt zu werden weil beide ohnehin in einem 20jährigen Avatar stecken. Ein Traumwelt. Oder Albtraumwelt?

Man könnte es auch kurz zusammenfassen für alle Generationen : im Second Life kann jeder so sein wie er / sie im echten Leben niemals sein wird. Man geniesst alles was Spaß macht und verzichtet auf alles was nervt. Ein altes Sprichwort sagt Vor das Ernten hat die Schöpfung das Bestellen der Felder gesetzt. Und weil das so abtörnend und absolut nicht geil ist hat die Flucht davor ins virtuelle Zweitleben wahnsinnigen Sex-Appeal. Hauptsache abgelenkt vom realen Ich im realen Leben, nur so können individuelle Lebenslügen richtig felsenfest in Stein gemeisselt werden.

Gegen Second Life können politische Ideologien & Parteien bzw. Religionen im realen Leben nur chancenlos abstinken. Aber Parteien, Religionsführer und sonstige Lobbyisten & Aktivisten sind ja auch nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen und werden es bald der Wirtschaft nachmachen. Vermutlich wird sich bald keine Partei, keine politische Organisation und keine Religion leisten können nicht massivst im Second Life präsent und aktiv zu sein. Und wenn Politik & Religion die virtuelle Wunderwelt ausreichend versaut haben werden indem sie es dem realen analogen Leben angeglichen haben werden - ja dann werden die Menschen wohl wieder aus dem Second Life flüchten. Wohin dann? In ein neues virtuelles 3rd Reich? In eine 4th Dimension? Mit dem 5ten Element? Wir wissen es heute noch nicht.

-

Wir von UNTERNEUNTUPFING Aktuell würden sicher lieber als ganz altmodische analoge Sonntagszeitung auf klassischem Papier erscheinen, Papier das sich wie echtes Papier anfühlt und noch nach Papier riecht und schmeckt. Aber als non-kommerzielles Projekt wollen wir Sie genauso kostenfrei erreichen wie UNTERNEUNTUPFING Aktuell möglicherweise wertlos ist. Und Sie, werte(r) Genußleser(in), Sie lesen uns sicher nur deshalb online weil sie aus Umweltschutzgründen auf Papier verzichten und uns deshalb lieber elektronisch lesen. Jawoll, Sie und wir, wir brauchen kein virtuelles Zweitleben, nein - wir haben im echten analogen realen Leben Besseres zu tun. Sozusagen.

Satirische Beiträge zu Social Network, Online Community und Internet Web 2.0 :


(Bild: davdibiase / stock.xchng / Royalty free)

1 Lesermeinungen:

Anonym hat gesagt…

Yeap, besser könnte ich es auch nicht sagen! Its a waist of time, ausser man ist Software-Entwickler und spielt gern mit den Möglichkeiten dieser Software rum. Wie öde! Glaubt wirklich einer das er echte Menschen kennen lernen kann in SL? Höchstens doch nur would-be's. Wozu das dann?