14.06.2007

Tourismusbranche flucht über Web 2.0

Vorbei sind die Zeiten früherer Jahrzehnte als buchende Touristen einer verschlagenen Schar von Reiseführerautoren, Hotelmanagern, viel versprechenden Reisekatalogen und im guten Glauben den Worten der Reisebüros ausgeliefert waren. Das Internet und Web 2.0 Dienste haben mehr Chancengleichheit im gegenseitigen Feilschen um die besten Reiseschnäppchen geschaffen. Wird das Tourismusimperium zurückschlagen?


Viele Jahrzehnte war die Tourismusbranche gut davor geschützt dass sich Kunden vor dem Kauf auch wirklich ein aussagekräftiges Bild machen konnten wofür sie eigentlich meist eine schöne Stange Geld ausgeben sollten. Wodurch die Tourismusbranche mehr oder minder genauso seriös werben und versprechen konnte wie zB Hersteller von Wunderpillen, Saunagürtel oder Brustvergrößerungssalben. Doch seit im Internet alle relevanten Informationen durch neue Dienste oder Communities vom mündigen Kunden eingesehen werden können ist zunehmend Schluß mit klassischem Tourismusmarketing.

Wir sprachen z.B. mit Tobias M. (Name der Red. unbekannt und von uns geändert) der jahrelang als Tourismustexter gearbeitet hat. Herr M. erklärt uns : "Was nur Insider wissen, die Ausbildung zum Tourismustexter ist eine mühselige Prozedur bei der man sehr viele Wendungen und Übersetzungen für Missstände auswendig lernen muss damit man die Missstände als Feature verkaufen kann. Sie kennen vielleicht die Klassiker extrem verkehrsgünstige Lage für ein Hotel das mitten im größten Autobahnverteilerkreis des Landes steht, oder kinderfreundlich für eine Lärmkulisse bei der man schon mal eine startende 747 überhört selbst wenn man direkt am Rollfeld steht. Tourismusjuristen haben ein geheimes Handbuch von Umschreibungen geschrieben die laut Gerichtsurteile irgendwie noch zulässig sind und das ist das Erste was ein Tourismustexter studiert. In fortgeschrittenen Berufsjahren spezialisiert man sich dann auf lokale Besonderheiten. Zum Beispiel heisst freundliche gesellige Einheimische dass Sie Ihr Hotel keinen Meter verlassen können ohne sofort von 30 Eingeborenen zum Kauf von Uhrenfälschungen, lokalem Handwerksimitaten oder zweifelhaften Speisen gedrängt zu werden. Verlockungen der typischen einfachen lokalen Küche heisst in einem Inselressort soviel wie 14 Tage hindurch nur Bananen mit Fisch und Reis, 3mal am Tag. Für die besten Lokaltipps bekam man noch Schmattes, und bei den Wegbeschreibungen konnte man sich locker darauf herausreden dass die pitoreske Infrastruktur in ihrem behutsamen Wandel viele Überraschungen bringen kann. Heute gucken die Kunden z.B. erst mal in freie von vielen Autoren zusammengestellte weltweile Reiseführer wie Wikitravel, dagegen kann man nicht mehr anschreiben."

Wir befragten auch Mag.Claudia S. (welche unerkannt bleiben will, daher Name, Frisur und Körbchengröße von uns geändert), eine erfahrende Tourismusmanagerin. Sie erläutert uns : "Zugegeben, jahrelang konnte die Tourismuswirtschaft ihren potentiellen Kunden in der Metapher gesprochen 16 Jahre alte gebrauchte Ladas die beim Aufbringen der Prüfplakette endgültig auseinander gefallen wären als Rolls-Royce vermarkten. Das ist heute vorbei. Die Reisewilligen prüfen zuerst mal die Gästebewertungen auf so Seiten wie Booking.com, HolidayCheck.de oder Hotelcheck.de. Auch die geschönten Fotos auf denen man das Hotel abbildet wie sich der Architekt das geträumt hätte bevor es dann gebaut wurde sind passé. Heute gucken Touristen vor der Buchung zuerst einmal auf Google Maps oder Locr. Wenn wir versprechen 5 Minuten zum Strand dann wissen viele Kunden bereits durch die Geodienste im Internet vor der Buchung dass 3 Minuten davon durch ein ungeschütztes Minenfeld und eineinhalb Minuten durch die größte Mülldeponie der Insel führen."

Schließlich trafen wir noch Jan-Jochen J. (Insider nennen Ihn Triple-Jay) der etliche Tourismuskonzerne als Konsulent berät. Er vertraut uns an : "Natürlich arbeiten die großen Reisekonzerne bereits emsig daran die Nachteile die durch die neuen Internetmöglichkeiten der Branche entstehen zu bekämpfen und die alten Kräfteverhältnisse wiederherzustellen. Zum Beispiel gibt es eine geheime TEO Task Force, wobei TEO für Tourism eBulletin Optimization steht. Deren erste Variante ist es in Hotelbewertungsforen automatisiert jene Hotels nach oben zu bringen die von Kunden noch möglichst wenig verrissen wurden damit der Kunde überhaupt noch bucht, oder zweitens und noch besser die Ranglisten der Hotels so zu optimieren dass jene ganz oben stehen die sich das meiste TEO leisten können (eine zukunftsträchtige Form der Diversifizierung in der Branche). Schließlich gibt es genug Kunden die bereit sind den größten Schrott zu buchen solange er nur irgendwo in den Top 10 ist. Die Psyche vor Ort arbeitet dann nach Prinzip der selbsterfüllenden Prophezeihung - sprich der Kunde sagt sich "Okay, hier ist es laut, schmutzig und eine Servicewüste - aber vermutlich sicher viel besser als die wo noch weiter hinten in der Liste waren..."

Triple-Jay muss aber auch eingestehen dass manche Gegenreaktion auf die neuen Internetmöglichkeiten durch die Tourismuskonzerne noch mit Anfangsschwierigkeiten kämpft : "Natürlich..." wendet Herr J. ein "...läge es zum Beispiel nahe dass man die Gästebewertungen z.B. selbst massiv verfälscht indem man gekaufte Beitragsschreiber einsetzt. Allerdings hat sich die hoch globalisierte Tourismusindustrie damit zuletzt selbst ins Knie geschossen - nach Indien ausgelagerte bezahlte Gefälligskeitsgutachter hatten von Indien aus nicht wirklich glaubwürdige Vorstellungen was zB ein Aprésski Erlebnis in St.Moritz so richtig ausmacht. Inder sind irgendwie beim Winterurlaubbeschreiben noch nicht die großen Literaten, man weiß aber noch nicht ganz woran es liegt. Demnächst will man versuchen mit chinesischen Textarbeitern wohlgefällige deutsche Ballermannurlaubskommentare auf Mallorca zu simulieren, bei den chinesischen Preisen ist es einen Versuch wert, aber ich als Konsulent habe den Unternehmen empfohlen stattdessen etwas mehr Geld auszugeben, die alten Tourismustexter von der Straße zu holen und sie per Kombilohnjobs auf Web 2.0 Communityspamming umzuschulen."

Der Kampf um die besten Reiseschnäppchen geht also in die nächste Runde. Wir von UNTERNEUNTUPFING Aktuell werden uns inzwischen schlau machen ob es wahr ist dass Google bereits Geodienste plant bei denen der Nutzer sogar die feschesten Zimmermädchen aussuchen kann (die selbstverständlich Arbeitskleidung mit elektronischer Affiliate Werbung tragen)...

Satirische Beiträge zu Social Network, Online Community und Internet Web 2.0 :


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